Für die 106 Krebspatienten, die sich 2011 in verschiedenen schwedischen Krankenhäusern behandeln ließen, war es eine angenehme und vielversprechende Unterbrechung ihrer Bestrahlungsroutine: Sie lagen entspannt auf einer Liege und bekamen eine typische Akupunkturbehandlung. Sie spürten, wie der Therapeut ihnen die Nadeln an verschiedenen Stellen auf die Haut setzte und durften dann 20 bis 30 Minuten entspannt ausruhen, während die Akupunktur ihre Wirkung entfaltete.
Was die Patienten aber nicht wussten: Ihre Nadeln waren nicht echt. Denn im Gegensatz zu 109 Leidensgenossen, die eine echte Akupunktur bekamen, wurden sie einer besonderen Form der Schein-Akupunktur unterzogen. Bei dieser werden stumpfe Nadeln eingesetzt, die zwar beim Aufsetzen ein ähnliches Gefühl erzeugen wie die echten, sich dann aber zusammenschieben und die Haut nicht perforieren. Auf diese Weise erleben die Patienten zwar das gesamte Drumherum der Akupunktur, der eigentliche Kern der Behandlung, die Nadelung, fehlt bei ihnen jedoch.
Wenn auch der bloße Schein wirkt
Und genau das ist der Clou bei dieser und ähnlichen Studien. Denn damit lässt sich herausfinden, welche Rolle der Placebo-Effekt für die Akupunkturbehandlung spielt. Als Placebo werden Scheinbehandlungen bezeichnet, bei denen beispielsweise Tabletten oder Spritzen keine Wirkstoffe enthalten oder Operationen nur vorgetäuscht werden. Solche Pseudo-Therapien eignen sich oft besser als Kontrolle für eine Wirksamkeit als eine Nichtbehandlung oder eine komplett andere.
Denn: Aus unzähligen Experimenten und Studien ist bekannt, dass schon das bloße Gefühl, eine Therapie zu erhalten, heilend wirken kann. Die positive Erwartung und die Erfahrung der Hoffnung weckenden Scheinbehandlung löst biochemische und physiologische Veränderungen aus, die beispielsweise Schmerzen lindern. Etwa 30 Prozent, so schätzen Forscher heute, macht dieser Placebo-Effekt aus – im Durchschnitt. Denn je intensiver sich beispielsweise der Arzt mit dem Patienten befasst, je auffälliger das Scheinmittel und je aufwändiger der Pseudo-Eingriff, desto besser greift der Effekt.
Keine Unterschiede zum Pseudo-Nadeln
Und genau dies, so vermuten viele Mediziner, spielt auch bei der Akupunktur eine tragende Rolle. Das Experiment mit den Krebspatienten ist nur eine der vielen Studien, die dies nahelegen. Denn wie sich zeigte, besserte sich die Übelkeit bei den Krebspatienten mit der vorgetäuschten Akupunktur genauso gut wie bei den tatsächlich genadelten.
„Die positiven Effekte scheinen nicht von der traditionellen Methode zu kommen, sondern von den positiven Erwartungen der Patienten und der zusätzlichen Hinwendung, die diese Behandlung mit sich bringt“, sagt Studienleiterin Anna Enblom vom Karolinska Institut in Stockholm. „Die Patienten kommunizierten mit den Physiotherapeuten, die die Akupunktur setzten, erhielten eine taktile Stimulation und bekamen Extrazeit um sich zu erholen und zu entspannen.“
Nicht mehr als ein Placebo-Effekt?
Auch Metastudien zur Akupunktur kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Vor allem dann, wenn weder Patienten noch Ärzte und Forscher wussten, ob ein Teilnehmer eine echte oder nur scheinbare Akupunktur erhielt, gab es meist keine oder nicht signifikante Unterschiede zwischen der Akupunktur- und der Pseudogruppe. „Wenn sich aber die Pseudo-Akupunktur nicht von der echten unterscheidet, dann sind die beobachteten Verbesserungen wahrscheinlich nur ein Placebo-Effekt“, kommentiert David Colquhoun vom University College London.
Gestützt wird dies von den Beobachtungen britischer Forscher bei einer Akupunkturstudie zu Rückenschmerzen: Je positiver die Erwartungen der Patienten im Vorhinein waren, desto größer war der positive Effekt in beiden Versuchsgruppen – auch das ist typisch für einen Placebo-Effekt. „Die einzige vernünftige Schlussfolgerung daraus ist, dass die Akupunktur als solches nicht funktioniert“, meint Colquhoun. Er und einige andere Forscher halten daher Akupunktur für ein bloßes Placebo – wenn auch ein durchaus effektives.
Aber was spricht eigentlich dagegen, ein gut wirksames Placebo einzusetzen?
Nadja Podbregar
Stand: 04.09.2015