Nach gut dreieinhalb Jahren unterwegs lief die Challenger im Mai 1876 wieder ihren Ursprungshafen Portsmouth an. Rund 68.900 Seemeilen hatte das Schiff zurückgelegt – in gerader Linie gefahren hätte diese Strecke für drei Erdumrundungen gereicht. Mit Ausnahme des Nordpolarmeeres hatte die Challenger alle größeren Ozeane der Erde befahren und den Atlantik und den Pazifik dabei intensiv durchkreuzt und erkundet.
Tausende von mitgebrachten Proben
Die Challenger brachte eine Fülle von Daten über die Meere, ihre Tiefen, ihre Strömungen und ihr Wasser mit. Darüber hinaus waren die Lagerräume zum Bersten gefüllt mit Proben gesammelter Tiere und Pflanzen. Thomsons Aufzeichnungen geben einen Überblick: „563 Kisten, darin 2.270 große Glasbehälter mit Exemplaren in Alkohol, 1.749 kleinere verkorkte Flaschen, 1.860 Glasröhrchen und 176 Zinndosen, alle mit Exemplaren in Alkohol; 180 Zinnbüchsen mit getrockneten Exemplaren; und 22 Fässer mit Exemplaren in Salzlake“.
Es war unmöglich, dass allein die beteiligten Wissenschaftler der Challenger-Mission das mitgebrachte Material auswerteten – zu gewaltig war die Menge der gesammelten Proben. Damals wurden Stimmen laut, die die Erkenntnisse vor allem in britischer Hand belassen wollten. Thomson war jedoch anderer Ansicht: Er bestand darauf, Experten aus aller Welt hinzu zu ziehen. So begann im Anschluss an die Fahrt der Challenger eine enorme Kooperation führender Wissenschaftler.
Über 4.500 beschriebene Organismen
Auch ein bekannter Deutscher war unter diesen Experten: der Naturforscher Ernst Haeckel. Dessen enorm detaillierte Schaubilder aus seinem Buch „Kunstformen der Natur“ sind sowohl von wissenschafts-historischer als auch künstlerischer Bedeutung. Aus den Challenger-Funden erhielt Haeckel die Radiolarien oder Strahlentierchen, eine Gruppe im Meer lebender Einzeller, zur Analyse zugeteilt. Er beschrieb über 3.500 neue Arten dieser Organismen. Haeckels Arbeit allein füllte schließlich drei Bände des umfassenden Missionsberichts der Challenger-Reise.
Thomson hatte einen Bericht im Umfang von 15 Bänden erwartet, der innerhalb von fünf Jahren nach Abschluss der Mission erscheinen sollten. Am Ende bestand „Der Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse der Reise der HMS Challenger“ aus ganzen 50 Bänden, und es dauerte 19 Jahre, bis 1895, bis sie alle geschrieben und veröffentlicht waren – so zahlreich waren die gesammelten Daten und Proben. Selbst heute noch beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Auswertung und machen neue Entdeckungen darin.
Zwei Bände beschäftigten sich mit den physikalischen und chemischen Eigenschaften des Wassers, ein Buch war den Sedimenten am Meeresgrund gewidmet. Der wahre Schatz waren jedoch die gefundenen Lebewesen: Allein 40 der 50 Bände beschäftigten sich mit zoologischen Ergebnissen, zwei weitere beschrieben Pflanzen. 4.717 beschriebene Meeresorganismen bewiesen eindrucksvoll, dass auch die Tiefsee lebt.
Ritterschlag für die führenden Köpfe
Thomson erhielt schon im Jahr 1877 von Königin Victoria den Ritterschlag für seine bahnbrechende wissenschaftliche Leistung. Das Ende der Erfolgsgeschichte der Challenger erlebte er jedoch nicht mehr: Er starb im Jahr 1882, lange bevor der letzte Bericht gedruckt war. Spekulationen zufolge erschöpften ihn die Arbeit an den Berichten und vor allem der Kampf um Gelder zu deren Veröffentlichung.
Diese Arbeit übernahm nach Thomsons Tod sein Kollege John Murray, von Anfang an Teilnehmer der Challenger-Expedition. Murray, wie Thomson ebenfalls Schotte, erhielt nach dem vollständigen Erscheinen der Challenger-Berichte ebenfalls die Ritterwürde. Auch in seinem weiteren Leben blieb er der Ozeanographie treu: Murray fand als erster Hinweise auf den Mittelatlantischen Rücken und ozeanische Gräben, und er gründete das erste Meeresforschungszentrum in Großbritannien.
Ansgar Kretschmer
Stand: 24.07.2015