Dass Tell Brak schon vor gut 6.500 Jahren mehr war als nur eine Großsiedlung, haben die Ausgrabungen der letzten Jahre inzwischen gezeigt. Die Archäologen fanden klare Hinweise auf Arbeitsteilung und Werkstattbereiche und auch Zeugnisse davon, dass zu den Bewohner sowohl einfache Arbeiter gehörten wie auch Verwaltungsbeamte und Angehörige der Elite. Und ziemlich groß war die Stadt auch.
Schmuckfabrik und Kleiderwerkstattt
Ein großes Gebäude erwies sich als Werkstatt für gleich mehrere Handwerkszweige: Es gab mehrere große Öfen, daneben gepflasterte Becken und Behälter. Basaltmörser und Mahlsteine sowie Werkzeuge aus Stein und Knochen zeigen, dass hier Objekte bearbeitet wurden. Obsidianmesser, Reste von Perlmuttschalen, polierten Steinplatten und farbigen Edelsteinen sprechen dafür, dass hier einst Schmuck hergestellt wurde – und das vermutlich in Massenproduktion.
Einige Spindeln aus Ton und Reste von Wolle zeugen davon, dass die Menschen hier auch Garn gesponnen und vermutlich auch Stoffe gewebt haben. Die Archäologen entdeckten in der Werkstatt auch zahlreiche Siegelstempel, auf denen teilweise Löwen dargestellt waren. „Diese Motiv wird nur sehr selten auf frühen Siegeln Mesopotamiens gefunden und ist in späteren Perioden ein Symbol der Könige“, erklärt Jason Ur. „Das deutet darauf hin, dass dieses Gebäude unter der Verantwortung eines sehr ranghohen Offiziellen stand oder zumindest in seinem Auftrag gearbeitet wurde.“
Die älteste Kantine der Welt
Damit ist klar, dass die Menschen von Tell Brak bereits Arbeitsteilung kannten und sogar Güter in Massenproduktion herstellten – ähnlich wie wenig später im rund 700 Kilometer weiter südlich liegenden Uruk. Dass es auch eine zentrale, durchorganisierte Verwaltung und Logistik gab, davon zeugt eine Art Kantine, die die Archäologen entdeckten – möglicherweise die älteste der Welt.
In einem offenen Hof standen mehrere große Öfen, umgeben von Unmenge von Tierknochen. In ihnen muss daher einst Essen in großen Mengen gegrillt, gebacken oder gegart worden sein. Gegessen wurde diese Massenspeisung dann in einer großen Halle gleich neben, in die Archäologen zahlreiche Reste von einfachen, gleich aussehenden Schalen fanden – auch sie in Massenproduktion hergestellt. „Eine solche Halle zeigt, dass die Versorgung der Menschen bereits weit über das Maß eines einzelnen Haushalts hinaus ging“, erklärt Jason Ur.
…und das alles ohne Schrift?
Allerdings: Im Gegensatz zur Stadt Uruk, in der die Bewohner bereits sehr früh Vorformen der Schrift nutzten, kannten die Bewohner von Tell Brak offenbar nichts Derartiges. Bisher zumindest haben die Archäologen keinerlei Hinweise auf Geschriebenes entdecken können. Das ist erstaunlich, denn bisher ging man davon aus, dass die Verwaltung einer Stadt kaum ohne schriftliche Aufzeichnungen zu bewerkstelligen ist.
Ob die Bewohner von Tell Brak es vielleicht doch ohne schafften oder ob die Archäologen die entsprechenden Belege nur noch nicht gefunden haben, bleibt offen. Es könnte aber durchaus sein, dass die Bewohner von Tell Brak trotz komplexer Verwaltung einfach keine Schrift brauchten. Möglicherweise organisierten sich die Städte im Norden des Zweistromlands mit Hilfe anderer Hilfsmittel und Methoden als Uruk und seine Nachbarorte im Süden.
So groß wie das antike Köln
Auch in puncto Größe muss sich Tell Brak nicht verstecken: Schon vor rund 6.000 Jahren besaß die Stadt einen breiten Ring aus Vororten, die sich um den Stadthügel gruppierten. Etwa ab 3900 vor Christus wuchsen diese Siedlungen zu einer einzigen großen suburbanen Zone zusammen, die rund rund 100 Hektar bedeckte. Das aber bedeutet, dass Tell Brak sich damals über 130 Hektar Fläche erstreckte – das ist größer als die Stadt Köln zu römischer Zeit.
„Tell Brak ist in drei Aspekten momentan absolut einzigartig auf der Welt: in der Größe seiner Siedlungsfläche im fünften und vierten Jahrtausend vor Christus, in der Vielfalt und der Art seiner öffentlichen Gebäude und in der Fülle des Materials , die dieser Siedlungshügel aus der entscheidendsten Periode der Entstehung komplexer urbaner Gesellschaften bietet“, konstatiert Ur. Seiner Ansicht nach ist Brak bereits eine vollwertige Stadt und könnte damit durchaus die älteste bisher bekannte Stadt überhaupt sein.
Nadja Podbregar
Stand: 03.07.2015