Rund um die frühgeschichtliche Stadt Tell Brak ging es nicht immer friedlich zu – ganz im Gegenteil. Das zeigen die mittlerweile vier Massengräber, die das Team um Augusta McMahon und den Harvard-Archäologen Jason Ur in einem vor der Stadt liegenden Hügel entdeckt haben. In jedem von diesen Gräbern lagen die Knochen von 14 bis weit über 100 Toten – die meisten von ihnen junge Erwachsene im Alter von 20 bis 45 Jahren.
Offenbar starben all diese Toten nahezu zur gleichen Zeit – irgendwann zwischen 3900 und 3600 vor Christus. Bei vielen der Skelette fehlten Hände und Füße, die Schädel waren von den Körpern getrennt und die Arm- und Beinknochen auf einem Haufen gestapelt. Deshalb halten die Archäologen eine natürliche Ursache dieser Todesfälle eher für unwahrscheinlich.
Erst Krieg, dann Gelage
Aufgrund der Zerstückelung und dem nahezu gleichzeitigen Tod gehen sie davon aus, dass diese Massengräber nach einem gewaltsamen Konflikt oder Krieg angelegt wurden. „Einige von Tieren verursachten Schäden an den Knochen deuten darauf hin, dass die Skelette noch einige Zeit frei auf dem Schlachtfeld herumlagen, bevor sie eingesammelt und beerdigt wurden“, so McMahon.
Geradezu makaber wird das Ganze durch weitere Funde in einem dieser Gräber: Über den Knochen lag eine ganze Schicht von zerbrochenen Keramiktellern, vermischt mit Tierknochen – Anzeichen für ein großes Gelage, das offenbar nach dem Ende der Kämpfe stattfand. „Es war definitiv ein Fest, aber ob es eine große Siegesfeier war oder eine Art Beerdigungsmahl zur Erinnerung an die Gefallenen, das wissen wir noch nicht“, sagt McMahon.
War es Bürgerkrieg
Wer aber waren die Toten und worum ging es in diesem Krieg? Die Antwort auf diese Frage ist bisher nicht eindeutig geklärt. Auffallend ist allerdings, dass sich dieser Kampf ausgerechnet zu einer Zeit abgespielt hat, als Tell Brak florierte: Es gibt keine Zeichen für einen Einschnitt, stattdessen wuchs die Stadt weiter an und neue Gebäude entstanden. Die Archäologen halten es daher für eher unwahrscheinlich, dass ein Krieg mit einem benachbarten Reich oder einer anderen Stadt der Grund für die Kämpfe war.
„Die Größe von Tell Brak macht eine externe Attacke eher unwahrscheinlich“, erklärt die Archäologin. Stattdessen zeichnet sie ein ganz anderes Szenario, bei dem interne Konflikte die erbitterten Kämpfe auslösten. Gerade das schnelle Wachstum der Stadt könnte demnach zu wirtschaftlicher Ungleichheit, politischen Differenzen und sozialen Unruhen unter den Bewohnern der Stadt und ihres Umlands geführt haben. Diese Spannungen entluden sich dann in einem bewaffneten Konflikt.
„Wir könnten hier den weltweit den ersten Beleg für einen Bürgerkrieg gefunden haben“, konstatiert McMahon. Es ist fast schon eine Ironie des Schicksals, dass auch jetzt in Nordsyrien wieder ein Bürgerkrieg tobt. Die einzigartigen Relikte von Tell Brak sind durch ihn von der Zerstörung bedroht.
Nadja Podbregar
Stand: 03.07.2015