Umwelt

Aus dem hormonellen Gleichgewicht geraten

Entwicklungsstörungen durch Umweltgifte

Während der Kunststoff selbst zwar harmlos ist, können die enthaltenen Weichmacher mit der Zeit austreten. Das gilt besonders bei Gegenständen die mit Lebensmitteln oder der Haut in Kontakt geraten, so dass der Zusatzstoff in den Körper gelangt. So ist das Trinken aus einer einzelnen Plastikflasche zwar harmlos, im Laufe der Zeit sammelt sich jedoch eine Gesamt-Belastung im Körper an. Besonders bei Schwangeren ist dies riskant, denn viele der Umwelthormone gelangen auch ins ungeborene Kind, wie sich an Nabelschnurblut nachweisen lässt.

Ungeborene Kinder im Mutterleib sind durch Umwelthormone besonders gefährdet. © Wei Hsu, Shang-Yi Chiu (CC BY 2.5)

Besonderes Risiko für Kinder

Und dann kann es kritisch werden – denn besonders ungeborene Kinder sind während der Entwicklung im Mutterleib empfindlich gegenüber falschen chemischen Signalen von außerhalb. Auf Wirbeltiere, also auch den Menschen, wirkt beispielsweise Bisphenol A wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen. An Ratten ließ sich dies deutlich erkennen, genauer gesagt, an deren „Fingern“. Bei diesen ist es bei den Nagetieren wie beim Menschen: In der Regel ist bei Männern der Zeigefinger im Verhältnis zum Ringfinger kürzer, bei Frauen ist es eher umgekehrt.

Dieses sogenannte 2D:4D-Verhältnis gilt als ausgeprägter Marker für das Hormongleichgewicht während der Embryonalentwicklung. Erhalten schwangere Rattenweibchen täglich auch nur eine geringe Dosis an Bisphenol A, so erscheinen die Finger ihrer Jungtiere später deutlich „weiblicher“, sowohl bei weiblichem als auch männlichem Nachwuchs. Andere endokrine Disruptoren haben den gegenteiligen Effekt: Sie imitieren männliche Geschlechtshormone wie Testosteron und können zur „Vermännlichung“ führen. Bei Fischen lässt sich die „Verweiblichung“ durch Umwelthormone auch bereits in der Natur feststellen.

Übergewicht und Unfruchtbarkeit

Das gestörte Hormongleichgewicht wirkt sich aber nicht nur auf die Finger aus – dies ist lediglich ein schnell erkennbares und leicht messbares Anzeichen. Andere Folgen treten erst nach der Geburt im Laufe der Zeit auf – und nicht nur bei Ratten, sondern auch beim Menschen: Phtalate können bereits bei Neugeborenen Neurodermitis fördern. Bei heranwachsenden Jugendlichen führt Bisphenol A offenbar zu einem höheren Risiko für Diabetes und Übergewicht.

Geschlechtshormone, ob aus dem eigenen Körper oder aus der Umwelt, beeinflussen letztendlich auch die Fortpflanzungsfähigkeit: Sowohl bei Frauen als auch bei Männern leidet daher die Fruchtbarkeit, wenn ein Ungleichgewicht der Hormone die Entwicklung der Sexualorgane stört. Das ist leicht nachvollziehbar: Hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille haben im Prinzip denselben Effekt, in diesem Fall allerdings in kontrolliertem und vor allem gewolltem und umkehrbaren Ausmaß. Studien deuten außerdem auf ein höheres Risiko für Brust-, Prostata oder Hodenkrebs durch endokrine Disruptoren hin.

Aus Gesundheitsgründen haben Phtalate als Weichmacher in Kinderspielzeug ausgedient. © freeimages

Verhaltensstörungen durch Umwelthormone

Doch körperliche Veränderungen sind nicht der einzige Verantwortungsbereich der Hormone: Sie steuern auch die Entwicklung des Gehirns und einen Teil unseres Verhaltens. Daher bringen Mediziner die Umwelthormone auch mit verschiedenen Verhaltensstörungen bei Kindern in Verbindung, von Aufmerksamkeitsschwäche bis zu gesteigerter Aggressivität. Ein möglicher Zusammenhang mit Autismus lässt sich ebenfalls erkennen. Dass eine Belastung mit organischen Lösungsmitteln bei Neugeborenen zu verminderten kognitiven Leistungen führt, ist schon länger bekannt.

Für Babyfläschchen aus Plastik etwa ist BPA aus diesen Gründen seit 2010 in der EU verboten. Mehrere Phtalate dürfen schon seit 2005 nicht mehr in Kinderspielzeug und Kosmetika eingesetzt werden. Verbraucherschützer fordern ein Verbot auch für andere Alltagsgegenstände, oder zumindest bessere Kontrollen und erkennbare Deklarationen. Eine gute Nachricht ist, dass Wissenschaftler vor kurzem einen möglichen Ersatz für PBA gefunden haben, der ähnliche Eigenschaften hat, ohne als Umwelthormon zu wirken. Obendrein lässt sich der Rohstoff dafür aus Papierabfällen gewinnen.

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Ansgar Kretschmer
Stand: 12.06.2015

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Giftig währt am längsten
Umwelthormone mit Langzeitwirkung

Geschlechtshormone aus der Plastikflasche
Woher kommen die "Umwelthormone"?

Aus dem hormonellen Gleichgewicht geraten
Entwicklungsstörungen durch Umweltgifte

Das Erbe des "dreckigen Dutzend"
DDT und Co bleiben trotz Verboten noch lange erhalten

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