„Archäologie als Naturwissenschaft?“ – die kleine Streitschrift der Archäologen Manfred Eggert und Stefanie Samida hat vor kurzem für einiges Aufsehen in der Fachwelt gesorgt. Darin stellen die Autoren keineswegs grundsätzlich die Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften infrage, mahnen jedoch die Fachkollegen, auch die eigenen Kenntnisse nicht zu vernachlässigen und sich erst über das eigene Forschungsinteresse im Klaren zu sein, bevor sie die anderen Disziplinen hinzuziehen. Dann aber gelte es, über die gesamte Dauer eines Projekts partnerschaftlich zusammenzuarbeiten.
Archäobotanikerin Neumann kennt Manfred Eggert aus gemeinsamen Projekten – und gibt ihm recht: „Erstmal geht es um die Frage: Was wollen wir überhaupt wissen?“. Erst dann könne die geeignete Methode gefunden werden. „Die Archäologie erwartet von den Naturwissenschaften oft mehr, als diese leisten können“, hat Neumann beobachtet. So ist es zum Beispiel nicht möglich, aus
archäobotanischen Bodenproben das Klima zu rekonstruieren.
Das Material kann viel verraten
Gerade in Deutschland sei die Archäometrie sehr weit entwickelt, erklärt Fleur Kemmers, Professorin für archäologische Numismatik an der Goethe-Universität. „Messen darf aber immer nur Mittel zum Zweck sein und nicht das Ziel an sich“, so Kemmers. Für ihr Fach eröffnen die Methoden der Materialanalyse ganz neue Möglichkeiten. So untersucht sie derzeit, woher das Silber für Münzen in den griechischen Kolonien in Italien stammte. Führen sie auf die gleichen Quellen zurück wie im Mutterland? Dafür müssen den Münzen Materialproben entnommen werden.
„Das tut den Konservatoren schon weh, aber wir haben ja eine gute Begründung“, sagt Kemmers. Das winzige Loch am Rand der Münze ist der Preis dafür, dass die Münze etwas über ihre Geschichte verrät: Mithilfe der Materialanalyse weiß die Numismatikerin, aus welcher Region das Silber stammte, ob es direkt zur Münze gebracht oder mit anderem Silber vermischt wurde – und damit erschließt sich vieles über die Organisation von Handelsnetzwerken.
Ganz neue Fragestellungen
„Heute kann man Fragen stellen, die früher gar nicht aufkamen – oder die man früher nicht beantworten konnte“, sagt Wulf Raeck, Professor für Klassische Archäologie in Frankfurt. So führe zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Marmor für Skulpturen der römischen Kaiserzeit seit dem 1. Jahrhundert vor Christus immer seltener aus dem italienischen Carrara, sondern aus Kleinasien stammte, zu neuen Fragen: Über welche Routen und auf welche Weise wurde das schwere Material nach Rom gebracht?
Manchmal überstrahlten die durch naturwissenschaftliche Methoden gewonnenen Erkenntnisse das, was man schon immer wusste: Dass griechische Plastiken farbig waren, habe die Wissenschaft schon vor Brinkmanns Ausstellung „Bunte Götter“ gewusst. Aber erst durch Pigmentanalyse, Streiflichtfotografie und andere moderne Methoden wurde dies deutlicher sichtbar.
Einblick in alte Gesellschaften
Auf Fragestellung und Blickrichtung der Archäologen haben auch die anderen Geistes- und die Sozialwissenschaften stets großen Einfluss gehabt: „Zum Beispiel haben die Kommunikationswissenschaft oder die Soziologie einiges bewirkt“, sagt Raeck. So interessieren sich die Wissenschaftler inzwischen weniger für spektakuläre Funde, wie sie noch die frühen Archäologen anlockten, als für das Zusammenleben der Menschen – Stichwort „soziologischer Raum“. Und hierbei helfen wiederum die Naturwissenschaften, indem etwa die Geländeerkundung leichter größere Siedlungszusammenhänge deutlich machen kann.
Raeck warnt jedoch davor, die Archäologie könne ihre Identität verlieren, wenn sie sich selbst als Naturwissenschaft sehe. Sie würde vor allem im Fächerverbund nicht mehr das leisten, wofür sie eigene Kompetenz hat. „Wir dürfen unsere eigenen Methoden, zum Beispiel Formanalyse und Stilkritik, nicht ganz vernachlässigen“, sagt er. Ansonsten könne es durch die neuen Methoden nicht nur zum Erkenntnisgewinn kommen, sondern auch zum Verlust von Erkenntnis.
Anke Sauter / Forschung Frankfurt
Stand: 08.05.2015