Bei der Multiplen Sklerose bewegen sich Immunzellen im Körper umher, die etwas Falsches gelernt haben. Eigentlich sollen sie fremde Krankheitserreger ausschalten. Die Immunzellen von MS-Patienten greifen jedoch auch eigene, gesunde Zellen an. Im Vorfeld kommt es zu einer Art Mimikry auf molekularer Ebene. Dabei ahmen Krankheitserreger mit bestimmten Strukturen auf ihrer Oberfläche die körpereigenen Zellen nach. Fressen Immunzellen sie, merken sie sich diese Struktur.
Durch die schützende Barriere
Das Problem: Die Immunzellen können nicht mehr unterscheiden, ob es sich bei den gemerkten Oberflächenstrukturen um fremde, schädliche oder um eigene, gesunde Zellen handelt – sie greifen alle an. Wie Forscher feststellten, wandern solche Immunzellen auch deutlich aggressiver. Sie besitzen ein umfangreiches Repertoire an Werkzeugen, mit denen sie durch den Körper wandern können. Es handelt sich dabei um Moleküle, die wie Schlüssel funktionieren.
Mit diesen Schlüsseln bezwingen Immunzellen von MS-Patienten recht einfach die Blut-Hirn-Schranke, die das empfindliche Gehirn vom Rest des Körpers abschottet und sich normalerweise nur vereinzelt überwinden lässt. Sind die Immunzellen ins Gehirn eingedrungen, fressen sie sich durch das Gewebe, sorgen für Reaktivierungen und Entzündungen im Gehirn, die MS-Patienten meist in Schüben erheblich zu schaffen machen und je nach Krankheitsverlauf nachhaltig schädigen.
Fataler Angriff auf die Hüllschicht
Dabei bringen fehlgeleitete Immunzellen nicht direkt Nervenzellen um, sondern stürzen sich vielmehr auf Zellen, die eine Isolationsschicht um Nervenzellen bauen. Die Myelin-Schicht verdünnt sich, schwächt damit die Nervenzellen und den MS-Patienten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die MS-Schübe während des Auf- und Abbaus dieser Isolierschicht aufkommen.
Seit einigen Jahren können Forscher Zellen mithilfe sogenannter Intravitalmikroskope in lebenden Organismen beobachten. Sie verstehen dadurch besser, warum sich Zellen auf Abwegen befinden. Mit der molekularen Bildgebung wie zum Beispiel der Positronen-Emissionstomographie (PET) sehen sie zusätzlich, wo genau sich die „bösen Zellen“ befinden und wie viele es sind. Forscher markieren dafür Enzyme wie Matrix-Metalloproteasen (MMP). Diese machen Zellen erst den Weg frei für die fehlgeleitete Bewegung, weil sie Gefäßwände löchrig machen und Gewebe lockern, damit fehlgeleitete Zellen weiterwandern können.
wissen|leben – Die Zeitung der WWU Münster; 2015/Nr. 2, 8. April
Stand: 17.04.2015