Höhlenmalereien gehören zu jedem Film, jeder Dokumentation und jeder Geschichte über Steinzeitmenschen fest dazu. Die meisten Malereien, wie etwa die berühmten Bilder aus der französischen Chauvet-Höhle, stammen zweifelsfrei vom modernen Menschen. Ob auch die Neandertaler solche Kunstwerke anfertigten, ist jedoch strittig.
Handabdrücke von Neandertalern?
Als älteste bekannte Höhlenmalereien gelten Bilder in der El Castillo Höhle in Nordspanien. Sie sind mindestens 40.800 Jahre alt. Damit sind sie rund 4.000 Jahre älter als die Chauvet-Malereien. Dieses hohe Alter ließe sich auf zwei Arten erklären, sagt Alistair Pike von der University of Bristol. Einerseits könnte der Homo sapiens diese Kulturtechnik bereits aus Afrika mitgebracht haben, als er nach Europa einwanderte.
Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass die ersten einfachen Höhlengemälde sogar noch von den Neandertalern stammen könnten. „Das wäre fantastisch, denn es würde bedeuten, dass die Handabdrücke an den Wänden dieser Höhlen die Umrisse von Neandertaler-Händen sind“, so Pike.
Rote Farbe aus Eisenmineralien
Zumindest die nötigen Farbstoffe waren den Neandertalern schon viel früher bekannt: Rote Farbe benutzten sie bereits vor etwa 250.000 Jahren. Sie stellten dazu Farbpigmente aus dem rötlichen Eisenmineral Hämatit her. Das Gestein transportierten sie zu diesem Zweck auch an Orte, an denen es nicht natürlich vorkam, wie etwa an den Fundort im niederländischen Maastricht-Belvédère.
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Allerdings ist unklar, wozu diese rote Farbe diente. Die Neandertaler könnten sie einerseits als Teil von rituellen Bemalungen eingesetzte haben, aber auch zu ganz praktischen Dingen wie zur Insektenabwehr, zum Gerben von Fellen oder als Medizin. Jüngere Fundstellen in Spanien deuten jedoch darauf hin, dass die Neandertaler auch Schminke zu rituellen Zwecken herstellten.
Kreativität durch abstraktes Denken
Ob geschminkt oder nicht, die Neandertaler kannten und verwendeten anderen Schmuck: Ebenfalls aus Südspanien stammen Funde von bemalten und durchbohrten Muscheln. Diese ließen sich zum Beispiel auf Schnüre fädeln und wie Halsketten tragen. Das Verwenden von Schmuck und rituellen Symbolen gilt als ein Nachweis, dass auch die Neandertaler bereits zu abstraktem Denken fähig waren. Auch mit frühen in Felsen geritzten Linienmustern stellten sie dieses Abstraktionsvermögen unter Beweis.
Beim Homo sapiens gilt diese Fähigkeit als erwiesen, Schmuck und Schminke waren bei unseren Vorfahren verbreitet. Neandertaler hätten sich das Herstellen und Tragen von Schmuck bestenfalls abschauen können. Für die nötige Kreativität galten sie lange als zu primitiv. Zu Unrecht, wie João Zilhão von der Universität von Bristol anhand der Muschelketten erklärt: „Dies ist der erste sichere Beleg für ein von Symbolismus geprägtes Verhalten der Neandertaler – und dies vor 50.000 Jahren, zehn Jahrtausenden bevor die modernen Menschen in Europa ankamen.“
Noch deutlich ältere Neandertaler-Schmuckstücke stammen möglicherweise aus der Neandertaler-Fundstelle Krapina im heutigen Kroatien. Dort entdeckte Seeadler-Krallen zeigen Kerben, Schnitte und polierte Flächen – und sie sind etwa 130.000 Jahre alt. David Frayer von der University of Kansas und seine Kollegen nehmen aufgrund der Bearbeitungsspuren an, dass die Krallen einst zu einer Kette oder einem Armband aufgefädelt waren. „Das ist wirklich eine überwältigende Entdeckung“, sagt Frayer. Denn dieser Schmuck wäre rund 80.000 Jahre vor der Ankunft der ersten modernen Menschen entstanden.
Ansgar Kretschmer
Stand: 13.03.2015