Kulturelle Ähnlichkeiten wie vergleichbare Werkzeugtechniken und ähnliche Vorlieben für Schmuck lassen erahnen, dass es zwischen den ansässigen Neandertalern und den eingewanderten Menschen in Europa an mehreren Orten Kontakte gab. Wie nah sich beide Menschenarten tatsächlich kamen, zeigte schließlich das entschlüsselte Erbgut der Neandertaler im Vergleich mit unserem heutigen Genom.
Es stellte sich nämlich heraus, dass wir einen guten Teil unserer Gene den Neandertalern verdanken: Nicht-Afrikaner tragen ein bis vier Prozent Neandertaler-DNA in sich. Dabei blieben vor allem solche Gene erhalten, die während der weiteren Evolution einen Vorteil bedeuteten.
Mit Haut und Haar Neandertaler
Hilfreich im relativ kalten Europa war zum Beispiel der effizientere Fett-Stoffwechsel der Neandertaler. Ebenfalls als nützlich erwies sich ein zusätzlicher Immunrezeptor, der den Kampf gegen Krankheitserreger erleichterte.
Besonders viele Neandertaler-Überbleibsel treten unter anderem in der Erbgut-Region auf, die Gene für die Keratinbildung enthält – einem Hauptbaustein von Haut, Haaren und Nägeln. Möglicherweise, waren es erst diese Neandertalergene, die unseren aus Afrika eingewanderten Vorfahren zu einem dichtem Haarkleid und dicker Haut verhalfen – und damit einem besseren Schutz gegen die Kälte.
Rote Haare und Sommersprossen
Eine relativ helle Hautfarbe könnte ebenfalls auf die Neandertaler zurückgehen. Rund 70 Prozent der Europäer tragen eine Neandertaler-Genvariante, die zu einer hellen Pigmentierung der Haut führt. Genetische Untersuchungen haben ebenfalls ergeben, dass die Neandertaler nicht unbedingt dem häufigen Bild des schwarzhaarigen, dunkelhäutigen Höhlenmenschen entsprachen: Etwa ein Prozent der Neandertaler hatte rotes Haar, helle Haut und Sommersprossen.
Dass Homo sapiens und Homo neanderthalensis gemeinsame Nachkommen zeugen konnten, ist alles andere als selbstverständlich: Die beiden Arten und ihre Vorläufer lebten rund eine halbe Million Jahre getrennt voneinander. In dieser Zeit konnten sie sich genetisch durchaus so weit voneinander entfernen, dass sie nicht mehr „biologisch kompatibel“ waren.
Nachkommen trotz genetischer Unterschiede
Auch dafür zeigen sich Anhaltspunkte im Genom: Während sich die Neandertaler-Gene in den für Haut und Haare zuständigen Regionen dicht drängen, fehlen sie in anderen Abschnitten völlig. Eine regelrechte „Wüste“ existiert in dieser Hinsicht auf dem X-Chromosom, einem der beiden Geschlechtschromosomen. Aber auch das männliche Hodengewebe ist nahezu frei von Neandertaler-Genen.
Diese Lage der Genwüsten ist ein verräterisches Indiz: Dieses Muster tritt bei Tieren immer dann auf, wenn zwei Unterarten genetisch nur noch bedingt kompatibel sind. Aus einer Kreuzung der beiden geht dann meist unfruchtbarer oder zumindest weniger fruchtbarer Nachwuchs hervor – wie beispielsweise Maultiere und Maulesel bei Kreuzungen von Esel und Pferd.
Möglicherweise waren auch Neandertaler und Homo sapiens trotz ihrer engen Verwandtschaft nicht mehr vollkommen kompatibel, als sie vor über 40.000 Jahren gemeinsam in Europa und Asien lebten. Trotz aller Kontakte unterschieden sich unsere aus Afrika eingewanderten Vorfahren deutlich von ihren eiszeitlichen Vettern.
Ansgar Kretschmer
Stand: 13.03.2015