Auch sie gehören zu den geheimnisvollen und bis heute nicht komplett entschlüsselten Funden der späten Bronzezeit: die Goldhüte. Von diesen kegelförmigen, aus dünnem Goldblech gehämmerten Kunstwerken der Urnenfelder-Kultur gibt es in ganz Europa bisher nur vier Stück, drei wurden in Deutschland gefunden, einer im Westen Frankreichs.
Kultischer Schmuck für die Elite
Getragen wurden diese immerhin rund 75 Zentimeter hohen Kegelhüte vermutlich von Priestern bei kultischen Anlässen. Es ist daher wohl kein Zufall, dass die untere Öffnung ziemlich genau auf den Kopf eines Mannes passt. Weil das Goldblech papierdünn ausgetrieben wurde, wiegt der gesamte Hut weniger als 500 Gramm. Das entscheidende Merkmal dieser Goldhüte ist jedoch ihre Verzierung aus Bändern mit ins Goldblech getriebenen Kreisen und kleinen Ornamenten.
„Nichts an diesem Stück ist dem Zufall überlassen, weder die Zahl der Schmuckzonen insgesamt noch die der einzelnen Teile, nicht einmal die Anzahl der Ringe um die vielen Buckel“, erklärt die Berliner Kunsthistorikerin Annette Meier. Denn in der Abfolge der Kreise und Muster sehen viele Forscher inzwischen einen komplexen Kalender, der ähnlich wie die Himmelsscheibe dabei hilft, Mondjahr und Sonnenjahr miteinander in Verbindung zu bringen.
Mondjahr, Sonnenjahr und Saros-Zyklus?
Zählt man beispielsweise beim Berliner Goldhut die Ornamente der Zonen 2 bis 18 zusammen, ergeben sich die 354 Tage eines Mondjahres. Durch spezielle Schaltzonen lassen sich an den Mustern aber auch Sonnenmonate abzählen. Und sogar der Saros-Zyklus, der die Wiederkehr der Mondfinsternisse markiert, könnte auf dem Goldhut verewigt worden sein. Denn wenn man alle Ornamente der Zonen 3 bis 13 zusammenzählt, erhält man die Zahl 223 – die Dauer eines Saroszyklus in Monaten.
Die fünfte Zone von oben hat bei dem Berliner Goldhut ein besonderes Muster: In ihr finden sich liegende Rauten, die mit 19 liegenden Halbmonden kombiniert sind. Sie könnten für die 19 Mondjahre stehen, nach denen Sonnen- und Mondzyklus wieder zusammenfallen. Diesen Zyklus errechnete und dokumentierte der griechische Gelehrte Meton, daher ist er nach ihm benannt.
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Viele Spekulationen, wenig Wissen
Allerdings: Wie schon beim Sonnenwagen von Trundholm sind dies bisher nicht viel mehr als spekulative Zahlenspiele. Denn es deutet zwar einiges darauf hin, dass im Muster der Goldhüte ein System steckt und wahrscheinlich auch eine Art Kalender. Wie komplex dieser aber war und was die einzelnen Kreise und Muster tatsächlich bedeuten, bleibt auch hier rätselhaft.
Die Goldhüte, der Sonnenwagen und auch die Himmelscheibe sind nur einige wenige Steine in dem großen Puzzle der europäischen Bronzezeitkulturen. „Daher sollte man sich davor hüten, zu enthusiastische Statements zum ‚tiefen astronomischen Wissen‘ dieser Kulturen abzugeben“, warnt die ungarische Archäo-Astronomin Emilia Pásztor. „Denn ohne archäologisches, religionsgeschichtliches und anthropologisches Hintergrundwissen bleiben sie Spekulation.“ Doch genau dieses Hintergrundwissen fehlt uns bisher über die Menschen, die die Himmelsscheibe und die anderen „stummen Zeugen“ dieser Ära schufen.
Nadja Podbregar
Stand: 28.11.2014