Vom heutigen Bürgerkrieg akut bedroht sind die Überrreste eines der Stadtkönigreiche, die im Schatten der Mitanni in Nordsyrien florierten. Qatna war Anfang des 2. Jahrtausends vor Christus sogar die größte bronzezeitliche Stadt außerhalb Mesopotamiens. Mehr als hundert Hektar war das Stadtgebiet zu ihrer Blütezeit groß, mächtige Stadtmauern mit einem Kilometer Seitenlänge umgaben die quadratische Anlage mit ihren Palästen, Verwaltungsgebäuden, Werkstätten und Wohnvierteln.
Uneinnehmbares Machtsymbol
Wie reich und mächtig die Könige von Qatna waren, zeigt neben zahlreichen Fundstücken aus Gold, Edelsteinen und Bernstein vor allem ihr eindrucksvoller Königspalast: Der 150 Meter lange und 110 Meter breite Koloss thronte auf einem Kalksteinhügel westlich des Stadtzentrums und war weithin sichtbar. Seine Erbauer bearbeiteten den steilen Kalksteinhang unterhalb der Palastmauern so, dass er eine einzige glatte weiße Wand bildete, die neun Meter hoch aus der Unterstadt aufragte. Zusätzlich lagen die Räume des eigentlichen Palastes noch einmal fünf Meter höher als das Felsplateau und die Palastmauer – ein Machtsymbol und eine nahezu uneinnehmbare Festung zugleich.
Doch damit der Machtentfaltung nicht genug: Die Könige von Qatna liebten es auch im Innenbereich repräsentativ, wie die Ausgrabungen von Archäologen um Peter Pfälzner von der Universität Tübingen zeigen. Gleich drei prachtvolle und einschüchternd große Hallen empfingen den Besucher am Hofe: Den Anfang machte die Audienzhalle, ein gewaltiger, 38 mal 38 Meter großer Raum, in dem vier mächtige Säulen die Dachkonstruktion aus Zedernholzstämmen stützten.
„Mit 1.300 Quadratmetern Fläche war diese Halle nicht nur der größte Raum im Palast von Qatna, sondern sie ist auch der bislang größte bekannte, vollständig überdachte Raum der gesamten Bronzezeit in Westasien“, berichten die Forscher. An den Audienzsaal schlossen sich ein Thronsaal und eine Art Festsaal an. Die Wände dieser Säle waren einst reich geschmückt, wie mehr als 3.000 Fragmente von Wandmalereien zeigen. Wann diese allerdings genau entstanden und wer sie erschuf, darüber sind sich die Archäologen bis heute nicht einig.
Wohlstand und Luxus – auch aus fernen Ländern
Aber nicht nur die Wandmalereien, auch Grabbeigaben und menschliche Überreste in einer 2002 in Qatna entdeckten Königsgruft zeugen von Überfluss und Wohlstand: Die Skelette zeugen eher von Übergewicht, als von Mangelernährung, harter Arbeit oder sonstigen Härten. Archäologen gehen davon aus, dass in dieser und in einer zweiten, im Jahr 2009 entdeckten Gruft die Könige von Qatna samt ihrer Familie bestattet wurden. Dafür sprechen auch die mehr als tausend reichen Grabbeigaben, darunter Perlen, goldene Zierbleche für Gewänder und Waffen, ein Löwenkopf-Gefäß aus Bernstein und filigrane Goldschmiedearbeiten.
Auch die Gewänder, die die Toten trugen, waren purer Luxus, denn sie waren mit Purpur eingefärbt, dem kostbaren roten Farbstoff, der aus Meeresschnecken gewonnen wird. Diese Grabbeigaben bestätigen, wie weit verzweigt und ausgedehnt das Handelsnetz der Könige von Qatna gewesen sein muss. Sie standen offenbar mit nahezu allen bronzezeitlichen Kulturen rund um das Mittelmeer und weiter östlich in enger Verbindung. Sogar das Siegel der Mutter eines ägyptischen Pharaos entdeckten die Forscher in einem der Gräber.
Bedrohung Bürgerkrieg
Seit 2011 jedoch ruhen in Qatna alle Ausgrabungen – die alte Königsstadt lag damals genau in dem Gebiet nahe der Stadt Homs, in dem die schwersten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen stattfanden. Glücklicherweise blieben die Ruinen verschont – noch. Denn wie durch ein Wunder ist Qatna bisher verschont geblieben, wie Pfälzner berichtet. Er und sein Team stehen in engem Kontakt zu einem einheimischen Wächter, der vor Ort die Grabungsstelle vor Plünderungen schützen soll.
Doch solange der Krieg in Syrien herrscht, kann auch der einsame Wächter das Schlimmste nicht verhindern. Den Archäologen bleibt daher zurzeit nichts weiter übrig, als darauf zu hoffen, dass die einzigartigen Zeugnisse dieses alten Königsreiches nicht in den Kriegswirren zerstört werden – wie so viele andere Kulturschätze dieser Region.
Nadja Podbregar
Stand: 12.09.2014