Çatalhöyük ist aber nicht nur wegen ihres Alters ein besonderer Ort. Auch die Art und Weise, wie diese Siedlung angelegt wurde, ist einzigartig – und liefert einen wertvollen Einblick in die Lebensweise unserer steinzeitlichen Vorfahren.
Dach als Tür und Fenster zugleich
Denn in völligem Gegensatz zu heutigen Städten oder Dörfern, aber auch zu anderen frühen Siedlungen, gibt es in Çatalhöyük keine Straßen, Plätze oder Durchgänge zwischen den Häusern. Stattdessen liegen die rechteckigen Lehmbauten Wand an Wand. Stattdessen waren die mit Holzbalken und Lehm gedeckten Flachdächer der Wohnungen Tür und Fenster zugleich.
Über Leitern kletterten die Bewohner in ihre Behausungen hinab, von oben gesehen muss die Siedlung wie ein verschachtelter Dschungel aus unterschiedlich hohen Dächern ausgesehen haben. Warum die Bewohner Çatalhöyüks diese eng gedrängte Bauweise wählten, ist unbekannt. Archäologen haben aber in dieser Region seither noch einige weitere Siedlungen entdeckt, die nach ähnlichem Muster errichtet wurden.
Die Innenräume der Häuser waren schon erstaunlich praktisch eingerichtet: Lehmbänke und erhöhte Plattformen dienten als Sitzgelegenheit und Schlafstätte. In Wandnischen eingelassen waren Öfen, aber auch Ablageflächen für Tongefäße und Körbe mit Vorräten. In vielen Behausungen fanden die Archäologen noch gut erhaltene Reste von steinzeitlichem Kochgeschirr samt Nahrungsresten, außerdem Mahlsteine und Knochen von Schafen und Ziegen.
Innen sauber, außen Müll
Und noch etwas Bemerkenswertes zeigten die Ausgrabungen: Die Steinzeit-Siedler von Çatalhöyük waren erstaunlich reinlich. Die Böden der Haus-Innenräume waren frei von Abfall und Dreck. Selbst bei mikroskopischen Untersuchungen fanden Forscher abseits der Feuerstelle kaum Spuren von Asche oder Staub. Sie schließen daraus, dass die Bewohner ihre Häuser regelmäßig gefegt haben müssen.
Anders allerdings sah es außerhalb der Häuser aus: Zwischen den Vierteln mit engstehenden Gebäuden lagen vereinzelte Freiflächen, auf denen sich nach und nach immer mehr Müll anhäufte. Für die Archäologen sind diese Müllhalden ein wahrer Schatz. Denn ihre Untersuchung gibt einen tiefen Einblick in den Alltag Çatalhöyüks. So zeigen angekohlte Dungreste, dass die Bewohner in der waldlosen Gegend vor allem Tierkot als Brennstoff für ihre Feuer nutzten. Verwobene Pflanzenreste deuten darauf, dass sie Böden und Schlafplattformen mit Matten aus Gräsern bedeckten.
Kunst am Bau
Eine nähere Untersuchung der Gebäude ergab weitere Sensationen: Viele Innenwände der Lehmhäuser waren reich bemalt und mit Reliefs verziert. Die mit Ton oder Gips modellierten Reliefs zeigen Stierschädel, Leoparden, Eberköpfe und Geier. Bis heute in seiner Bedeutung rätselhaft ist eine häufiger auftauchende Darstellung eines Wesens mit gespreizten, jeweils in Kopfrichtung angewinkelten Armen und Beinen, möglicherweise ein Bär oder aber eine Art Göttin.
Die Wandbilder sind mit roter, weißer und schwarzer Farbe auf den Lehm gemalt. Sie zeigen ebenfalls verschiedene Wildtiere, Jagdszenen und abstrakte Muster. Das Seltsame daran: Die Tiere und Pflanzen, die für die steinzeitlichen Bewohner Çatalhöyüks am wichtigsten waren, weil sie beispielsweise gezüchtet und gegessen wurden, tauchen in diesen Wandmalereien nicht auf. Archäologen vermuten daher, dass diese Bilder spezielle, rituelle Jagden darstellen, die zu besonderen Anlässen durchgeführt wurden und nicht der alltäglichen Nahrungsversorgung dienten.
Nadja Podbregar
Stand: 15.11.2013