Im Jahr 2010 gelang Forschern der kanadischen McMaster Universität eine „Abkürzung“: Sie wandelten ohne den Zwischenschritt der Stammzelle direkt einen Zelltyp in einen ganz anderen um. Aus Hautzellen, den sogenannten Hautfibroblasten, schufen sie ohne große Umwege Blutzellen. Entdeckt hatten die Wissenschaftler diese Möglichkeit fast schon zufällig, nachdem sie den ersten Schritt der Reprogrammierungs-Kaskade durchgeführt hatten. Dabei wird den Hautfibroblasten mit Hilfe eines Retrovirus ein Gen eingeschleust, das normalerweise in der Embryonalentwicklung aktiv ist. Es erzeugt Oct-4, einen Transkriptionsfaktor, der vor allem dort benötigt wird, wo im Fötus neue Gewebe entstehen.
„Die Reprogrammierung hin zur Pluripotenz erfordert eine Kaskade von Ereignissen, darunter die Erzeugung verschiedener intermediärer Zellen“, so die Forscher in ihrem „Nature“-Artikel. „Ein Teil dieser Zwischenstadien bildet Kolonien, die eine rundliche Morphologie ähnlich der von blutbildenden Zellen besitzen und den Marker CD45 exprimieren.“ Dieser Marker gilt als typisches Merkmal von blutbildenden Zellen. Zudem stellten die Wissenschaftler fest, dass sich Blut-Vorläuferzellen aus Nabelschnurblut in Zellkulturen mit Vorliebe an genau diesen Typ von Hautfibroblasten anlagerten.
Wachstumfaktoren als Umwandlungshelfer
Aus diesen Beobachtungen schlossen die Forscher, dass die CD45-erzeugenden Zellen offenbar wichtige funktionale Merkmale blutbildender Zellen in sich tragen mussten. Aber bedeutet dies auch, dass sie sich vollständig umwandeln ließen? Um dies zu testen, versetzten die Wissenschaftler die CD45-Zellkulturen mit blutspezifischen Wachstumsfaktoren, speziellen Zytokinen. Tatsächlich gelang es ihnen auf diese Weise, aus den veränderten Hautfibroblasten rote Blutkörperchen zu züchten, aber auch weitere Blutzelltypen wie Granulozyten, Monozyten und Megakaryoten.
Die Wissenschaftler haben die Umwandlung in den letzten zwei Jahren mehrfach an Hautzellen von sowohl jungen als auch alten Menschen durchgeführt um zu belegen, dass sie in jedem Alter funktioniert. „Wir haben gezeigt, dass dies mit menschlicher Haut funktioniert”, erklärt Studienleiter Mick Bhatia. „Wir wissen wie es geht und glauben, dass wir diesen Prozess sogar noch verbessern können. Jetzt werden daran arbeiten, auch andere Typen menschlicher Zellen aus Haut herzustellen, erste vielversprechende Ansätze gibt es schon.“
Risiko für Entartungen geringer
„Diese bahnbrechenden Ergebnisse sind die ersten, die zeigen, dass menschliche Hautzellen direkt in Blutzellen umgewandelt werden können, durch einen Prozess, der das pluripotente Stadium auslässt“, kommentierte Cynthia Dunbar von den National Institutes of Health im amerikanischen Bethesda dieses Ergebnis. Entscheidend daran: Durch das Überspringen des pluripotenten Stammzell-Stadiums reduziert sich das Risiko für unerwünschte krebserregende Veränderungen extrem.
Damit könnte diese Methode zukünftig beispielsweise bei Patienten mit Blutkrebs oder anderen Blut- und Knochenmarkserkrankungen eingesetzt werden. Ihnen müsste nur ein kleines Stück Haut entfernt werden, um daraus neue Blutzellen und damit neues, gesundes Blut zu erzeugen. „Die Produktion von Blut aus den eigenen Hautzellen eines Patienten hat das Potenzial, Knochenmarkstransplantationen und die mühsame Suche nach passenden Spendern überflüssig zu machen“, sagen die Forscher. Klinische Studien dazu sollten noch 2012 beginnen.
Nadja Podbregar
Stand: 13.09.2013