Richtig interessant wird die Satellitengeodäsie aber erst in der Kombination aus gravimetrischem und geometrischem Verfahren. Denn kombiniert man die mittels Schwerefeld gemessenen Massenänderungen von Eisschilden oder Flüssen mit den per Altimeter ermittelten Veränderungen des Meeresspiegels, lässt sich zum Beispiel bestimmen, wie viel vom Meeresspiegelanstieg auf die Eisschmelze zurückgeht, und wie viel auf die thermische Ausdehnung – die Tatsache, dass Wasser mehr Raum einnimmt, wenn es sich erwärmt. Da diese Werte bestimmt werden können, ohne Modellierung oder klimatische Annahmen zu Hilfe zu nehmen, sind solche unabhängigen Messungen eine wichtige Stütze für die Stellungnahmen in den IPCC-Berichten.
Erster Blick auf die Flüsse
Seit einigen Jahren versucht man, auch größere Binnenseen, Speicherseen und sogar breite Flüsse mit Hilfe der Satellitengeodäsie zu beobachten. Denn obwohl der globale Wasserkreislauf einen der wichtigsten Prozesse im System Erde darstellt, ist er bisher messtechnisch relativ schlecht erfasst. Die Abflüsse aus den großen Flusssystemen weltweit werden hauptsächlich an terrestrischen Pegelmessstationen gemessen und die Daten beispielsweise am „Global Runoff Data Centre“ (GRDC) der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz gesammelt.
Leider deckt diese Datenbank weder räumlich noch zeitlich die Kontinente komplett ab, die Abdeckung ist sogar seit einigen Jahren rückgängig. Ein Grund dafür: Viele nationale hydrologische Behörden stellen ihre Daten nicht mehr zur Verfügung oder dünnen ihre Messnetze aus. Ähnliches gilt für die Beobachtung weiterer hydrologischer Variablen wie Niederschlag oder Verdunstung. Satellitengestützte Beobachtung scheint hier die einzige Möglichkeit, dem Problem zu begegnen.
Hilfe über Altimeter-Pegel
Die klassische Satellitenaltimetrie eröffnet hier gewisse Möglichkeiten, wenn auch mit Einschränkungen: Der Bodenfußpunkt einer Altimetermessung – also der Bereich, wo die Radarwellen auf die Meeresoberfläche treffen – hat einen Durchmesser von etlichen Kilometern. Daher können damit nur größere hydrologische Objekte erfasst werden. Zudem misst ein Altimeter nur die Höhe, also den See- oder Flusspegel. Dies ist aber aus hydrologischer Sicht weniger relevant, denn sie benötigt Abflussdaten.
Forscher am geodätischen Institut der Universität Stuttgart erforschen zurzeit, wie sich diese Einschränkungen beheben lassen. Konkret sind ihre Fragen: Welche hydrologischen Objekte kann die Satellitenaltimetrie (noch) erfassen? Kann eine Zeitreihe von Höhenmessungen in Abflussinformation umgewandelt werden?
Amazonas als Testfall
Ein erstes Ergebnis dabei: Die zweite Frage kann in Prinzip mit einem Ja beantwortet werden. Messungen zeigen, dass die Abflusszeitreihen sehr stark mit den Flusspegelständen korrelieren. Die entscheidende Frage ist dabei aber, ob vergangene Abflussdaten die richtige statistische Information besitzen, um heutige Altimetermessungen in Abflussinformation umzuwandeln. Um das herauszufinden, nehmen die Forscher ein Flussbecken mit ausreichend Abflussdaten aus unterschiedlichen Zeiten – vor und während der Vermessung per Satellitenaltimetrie.
Auf Basis der alten Abflussdaten entwickeln die Forscher dann ein Modell, mit dem sie auch die heutigen Abflüsse aus den Pegeln ermitteln können. Passen die Ergebnisse daraus dann zu den tatsächlich heute gemessenen Abflüssen, dann zeigt dies, dass die Methode funktioniert. Beim Amazonas wurde genau diese Art von Validation durchgeführt. Es zeigte, dass diese Form der indirekten Abflussmessung Ergebnisse mit weniger als zehn Prozent Fehler liefert.
Dieses Ergebnis bestätigt sich in der Analyse weiterer Flüsse. Die Satellitenaltimetrie stellt somit als Beobachtungssystem eine wesentliche Ergänzung für die Hydrologie dar. Für die wichtigsten (weil größten) Flusssysteme der Welt können im Zeitraum der Satellitenaltimetrie Abflussinformationen hergestellt werden mit einer Qualität, die für die hydrologische Modellierung ausreicht.
Nico Sneeuw, Mohammad J. Tourian, Balaji Devaraju / Universität Stuttgart
Stand: 06.09.2013