Geologie/physische Geographie

Schlamm als Schlüssel

Die Rolle des Sediments bei der Canyonbildung

Auf der Suche nach einer Erklärung für die Unterwasser-Canyons ist Reginald Daily seinen Zeitgenossen weit voraus: Während diese noch tausende Meter umfassende Hebungen der Kontinente als Entstehungsursache postulieren, sucht Daily nach naheliegenderen Mechanismen.

Rutschungen und Sedimentströme gruben diese Furchen in den Kontinentrand vor der US-Ostküste © Duke University /EOS

Fündig wird er in der Dynamik des Wassers. Daily vermutet, dass vom Kontinentalhang herabströmendes Wasser die gewaltigen Kerben ins Gestein gegraben hat. Und dazu, wie solche Abwärtsströme entstehen, hat der Geologe auch bereits eine Theorie: Wenn turbulente Strömungen besonders viel Sediment aufwühlen, kann sich eine Art dichter, aber noch sehr flüssiger Schlamm bilden. „Solange das Sediment in der Schwebe bleibt, ist das solcherart getrübte Wasser dichter als das saubere Wasser im offenen Meer, aber auch unterhalb dieser Durchmischungszone“, erklärt Daily. Daher müsse dieses schwerere Wasser eine Tendenz besitzen, nach unten zu sinken.

Schlammiges Wasser gräbt Furchen in den Hang

An den Kontinentalhängen bedeutet dies, dass das mit Sediment beladene Wasser unmittelbar über dem Meeresboden den Hang hinuntergleitet. Je steiler der Hang, desto schneller strömt dabei auch diese Wasser-Schlamm-Mischung. Und je schneller das Wasser über einen festen Untergrund strömt, desto stärker ist auch seine erodierende Kraft. „Könnte dies nicht der Mechanismus sein, der die unterseeischen Schluchten schuf?“, fragt Daily in seinem 1936 erschienen Artikel.

Heute weiß man, dass Daily damals goldrichtig lag. Tatsächlich gelten solche sogenannten Turbidit-Ströme neben Rutschungen am Kontinenthang heute als Hauptursache für Unterwasser-Canyons. Am Nazaré-Canyon vor Portugal fanden Forscher des HERMES-Projekts heraus, dass auch die lokalen Windverhältnisse dabei eine wichtige Rolle spielen. „Unter ruhigen Bedingungen enthält das Wasser im Canyon nur wenig Sediment, aber nach einem Sturm verändert sich die Wassertemperatur und damit auch Strömung und Sedimentfracht“, erklären die Forscher. Das Wasser enthalte dann sehr viel mehr Sediment und ströme schneller den Canyon hinab.

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Kaskaden bei kaltem Nordwind

Einen anderen Canyon, den Cap de Creus Canyon im Golf von Lyon vor der französischen Mittelmeerküste, könnten sogar Unterschiede der Wassertemperaturen allein geschaffen haben – ohne große Mithilfe von Sedimenten. „In den Wintermonaten bläst oft ein extrem kalter Mistral das Rhonetal hinab“, erklären die HERMES-Forscher. Dieser kalte Nordwind kühle das Wasser über den flachen Meeresgebieten des Golf von Lyon stark ab. Kaltes Wasser aber ist dichter als wärmeres und sinkt daher nach unten – es fließt über den flachen Schelfboden und fällt dann in Kaskaden den Hang zur Tiefsee hinunter.

Dense Shelf Water Cascading im Cap de Creus Canyon, der Pfeil steht für das kalte, dichte Wasser, das vom Schelf in die Tiefe strömt. © HERMES / UB/CEFREM

Dieser auch als Dense Shelf Water Cascading bezeichnete Prozess kann mehrere Wochen anhalten und dabei große Mengen Sediment und Material vom Meeresgrund der Schelfgebiete in die Tiefsee hinabreißen. Wie ein Hochdruckreiniger schiebt das Wasser dabei auch jede Menge Müll und Schmutz von Schelf bis in die Tiefsee. So fanden Forscher im Cap de Creus Canyon, aber auch in andere durch solche Kaskaden gebildeten Schluchten an der Nordseite des Mittelmeeres, Plastiktüten, Flaschen, Reste von Fischernetzen und andere Zeugnisse der menschlichen Zivilisation noch in mehr als tausend Metern Wassertiefe.

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Nadja Podbregar
Stand: 20.09.2012

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Unterwasser-Canyons
Riesen-Schluchten am Kontinentalrand Europas

Giganten unter dem Meer
Was macht die Unterwasser-Canyons so besonders?

Killerwellen an der Unterwasser-Schlucht
Das Geheimnis des Nazaré-Canyons

Eiszeit, Flüsse, Kontinentsprünge
Wie entstanden die Unterwasser-Canyons?

Schlamm als Schlüssel
Die Rolle des Sediments bei der Canyonbildung

Urzeit-Krise im Mittelmeer
Ein ausgetrockneter Ozean als Schluchtenbauer

Viele kleine Nischen
Unterwasser-Canyons als Lebensraum

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