Insgesamt fünf große Wellen des Artensterbens haben bisher die Diversität der Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten erschüttert. Im Verlauf jeder dieser Wellen gingen jeweils mehr als 80 Prozent der existierenden Arten unwiederbringlich verloren. Dazu gehören sowohl urtümliche Trilobiten, eine ausgestorbene Gruppe meeresbewohnender Gliederfüßer, die heute nur noch als Versteinerungen zu bewundern sind, als auch Wirbeltiergruppen wie Dinosaurier.
Die vorhergegangenen Wellen des Aussterbens bewirkten tiefe Einschnitte in die globale Artenvielfalt, deren Ursachen nach wie vor kontrovers diskutiert werden. Dagegen sind die Ursachen für die derzeitig beginnende sechste Aussterbewelle zum einen vielfältiger, zum anderen auch weniger strittig: Die intensive Landnutzung durch Menschenhand verdrängt, verkleinert
und zerstört die natürlichen Lebensräume vieler Arten und verändert das globale Klima in folgenreicher Weise. Umso drängender werden Fragen wie: „Welche Konsequenzen haben dieser Prozesse für einzelne Ökosysteme – und wie lassen sie sich vorhersagen?“
Metabolismus als Schrittmacher von Ökosystemen
Bisherige Erklärungsansätze werden durch die Diversität und Komplexität natürlicher Ökosysteme erschwert. Zur Veranschaulichung: In nur einem Kubikmeter Waldboden befinden sich Tausende Tier-, Bakterien- und Pilzarten. Jede dieser Arten konsumiert Ressourcen, um die Energie zu gewinnen, die den kontinuierlichen Zellstoffwechsel in Gang hält. Dieser Metabolismus ist der Motor des Lebens und der Schrittmacher natürlicher Ökosysteme.
Abgestorbenes organisches Material wird von Bakterien, Pilzen und einigen Tierarten wie zum Beispiel Asseln abgebaut. Diese dienen sogenannten primären Konsumenten, Konsumenten erster
Ordnung wie räuberische Käferarten, als Nahrungsgrundlage, die ihrerseits Ressourcen für Konsumenten höherer Ordnungen wie Vögel sind.
Komplexes Netz statt Kette
Das sich aufdrängende Bild von geordneten Nahrungsketten, zum Beispiel Asseln – Käfer – Vögel, in diesen Ökosystemen wurde in den letzten Jahren revidiert; an seine Stelle trat ein Konzept komplexer Interaktionsnetzwerke. Ein damit verbundenes Fazit: Natürliche Konsumenten halten sich nicht an gesittete Regeln des Fraßes auf definierten Ernährungsebenen. Stattdessen ernähren sich viele Räuber („Prädatoren“) von sehr unterschiedlichen Ressourcen, die von primären über sekundäre Zersetzer bis zu anderen Prädatoren reichen können.
In unserem Beispiel wird die reine Nahrungskette durch Fraß der Vögel an Käfer- und Asselpopulationen aufgelöst. So entstehen komplexe Nahrungsnetzwerke, die alle Arten eines Ökosystems durch ihre Interaktionen zusammenbinden und für die menschliche Population wichtige Ökosystemleistungen aufrechterhalten, zum Beispiel den Abbau des organischen Laubstreus im Wald.
Ulrich Brose, Universität Göttingen /DFG Forschung 2/2012
Stand: 16.08.2012