Wenn Rechner am Turing-Test scheitern, scheitern sie damit am Grundlegendsten überhaupt: An der menschlichen Sprache mit all ihren Nuancen und scheinbaren Widersprüchen. Das Verstehen von Sprache gilt nicht umsonst als Königsdisziplin der Maschinenintelligenz. Denn es geht um mehr als nur die lexikalische Bedeutung von Wörtern wie etwa „Hund“ oder „Länderfinanzausgleich“. Sprache zu verstehen bedeutet auch, Assoziationen zu erkennen, zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu können und auch den Sinn von Ironie, Witzen oder Wortspielen richtig zu dekodieren.
Im Februar 2011 hat im amerikanischen Fernsehen erstmals ein Computer seinen Auftritt, der all dies offenbar beherrscht. Denn der von IBM konstruierte Rechner Watson besiegt Ken Jennings und Brad Rutter, zwei erfahrene menschliche Champions, im Ratespiel „Jeopardy!“. (link zu einem Film von IBM darüber)
„Das war ein Sargnagel für die Überlegenheit der menschlichen Intelligenz“, kommentiert der britische Neurowisssenschaftler Dennis Bray den Sieg von Watson. Denn der Computer habe diesmal nicht in Mathematik oder einer so starren Regeln und Formen unterworfenen Disziplin wie dem Schach gewonnen, sondern in einem Spiel, in dem etwas so hochkomplexes wie die Sprache im Mittelpunkt stehe.
Sprachwitz und Verklausulierungen inklusive
Bei Jeopardy müssen die Kandidaten aus einer Antwort, beispielsweise: „Sie sind die drei Objekte, die im olympischen Zehnkampf geworfen werden“ die korrekte, zugehörige Frage erraten: „Was sind Diskus, Speer und Kugelstoßen?“. Die Fragen kommen dabei aus unterschiedlichen Kategorien, erraten werden muss ohne die Hilfe von vorgegeben Multiple Choice-Antworten. Erschwerend kommt hinzu, dass bei diesem Quiz Wortspiele und Sprachwitz eine große Rolle spielen. Die eigentliche Aufgabe muss quasi erst dekodiert werden. „Farbige Plage des 14. Jahrhunderts, die zu einem Erfolgsstück von Arthur Miller wurde“, lautet beispielsweise eine besonders verklausulierte Jeopardy-Aufgabe. Die korrekte Antwort: „Was ist der Schwarze Tod eines Handlungsreisenden?“.
„Der einzige Weg, um auf diese Antwort zu kommen, ist es, Informationsbrocken aus verschiedenen Quellen zusammenzufügen. Denn die exakte Antwort steht nirgendwo“, beschreibt IBM das Problem auf ihrer Watson-Website. Im konkreten Beispiel muss ein Kandidat den Titel des Theaterstücks „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller kennen, er muss wissen, dass die Pest den Beinamen „der Schwarze Tod“ trug und dann beides halbwegs sinnvoll kombinieren.
Interner Wettbewerb der möglichen Lösungen
Watsons Software „DeepQA“ löst diese Anforderung durch zahleiche parallel und nacheinander geschaltete Lösungsschritte. Zunächst wird die Frage analysiert und ermittelt, nach welcher Kategorie – Personen, Gebäude, Filmtitel etc. – gesucht wird. Dann suchen hunderte verschiedener Algorithmen im gewaltigen Informationsspeicher nach möglichen Antworten. Um ihn zu füllen, fütterten die IBM-Ingenieure den Rechner mit Millionen von Dokumenten, angefangen von der kompletten Wikipedia und anderen Enzyklopädien, religiösen, philosophischen und literarischen Texten und anderem Referenzmaterial. Aus diesem Fundus erzeugt die Software hunderte potenzieller Antworten, die dann nach bestimmten Kriterien bewertet, gegeneinander abgewogen und dabei immer weiter eingeengt werden. Am Schluss äußert Watson die Antwort, die die höchsten Werte in diesem internen Wettbewerb erhalten hat.
„Das Ziel war dabei nie, das menschliche Gehirn nachzuahmen“, sagt David Ferrucci von IBM. „Das Ziel war es, einen Computer zu bauen, der natürliche Sprache versteht und in ihr interagieren kann – aber nicht notwendigerweise auf die gleiche Art wie der Mensch.“ Damit schließt sich der Kreis zu Turing und den Anfängen des Mensch-Maschine-Problems: Es zählt das Ergebnis und die Interaktion, nicht die Methode.
„Wenn Alan Turing das Transcript dieser Jeopardy-Sendung lesen würde, hätte er dann den Computer erkannt?“, fragt Bray provokant. Seiner Ansicht nach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Turing-Test geknackt wird – möglicherweise sogar von einer verbesserten Version Watsons.
Nadja Podbregar
Stand: 22.06.2012