Doch auch am Mittelatlantischen Rücken ist unsere fiktive Reise über den Meeresgrund noch lange nicht zu Ende. Denn kurz vor den Antillen-Inseln wartet schon ein anderes geologisches Highlight: der Puerto-Rico-Graben. Genau 9.219 Meter geht es hier am so genannten „Milwaukeetief“ unter die Meeresoberfläche hinab – die tiefste Stelle des Atlantiks ist erreicht. Während solche „Schlünde der Meere“ in diesem Ozean relativ selten sind, findet man sie in anderen Meeren dafür erheblich häufiger. Die sechs gewaltigsten – Marianen-, Tonga-, Japan,- Kurilen-, Philippinen- und Kermadecgraben – haben sogar eine Tiefe von über zehn Kilometern und liegen alle im Pazifik.
Tiefe Kerben in der Kruste
Die meisten Tiefseegräben sind nur wenige Dutzend Kilometer breit, aber dafür oft mehrere tausend Kilometer lang. Typisch für sie sind zudem steil abfallende Felswände, die oft mit bizarren und schroff en Auswüchsen gespickt sind. Der Boden der Tiefseegräben erinnert an eine trostlose Einöde und besteht vornehmlich aus einer dicken Schicht schlammiger Sedimente. Nicht unbedingt eine Umgebung zum Wohlfühlen. Denn am Grund der Gräben ist es stockdunkel und auch die Wassertemperaturen liegen meist nur zwischen 1,2 und 3,6 Grad. Von dem enormen Druck ganz zu schweigen.
Doch wie sind diese gewaltigen Macken in der Erdkruste entstanden? Und warum befinden sie sich gerade dort, wo sie sind? Antworten auf diese Fragen liefert auch hier ein Blick in die Theorie der Plattentektonik. Während an den mittelozeanischen Rücken ständig neue Erdkruste produziert wird, gibt es auch Orte, an denen das Krustenmaterial wieder aufschmilzt und in der Tiefe verschwindet – ein klarer Fall von geologischem Recycling. Dies geschieht in so genannten Subduktionszonen.
Abgetaucht und aufgeschmolzen
Dort taucht eine ältere und schwerere ozeanische Platte in einem Winkel von bis zu 90 Grad unter eine leichtere kontinentale oder eine andere ozeanische Platte ab. An solchen Nahtstellen bilden sich deshalb nicht nur Vulkanketten oder hohe Gebirge, sondern auch die Tiefseegräben. Der Marianengraben zum Beispiel ist durch die Kollision der Philippinischen und der Pazifischen Platte entstanden.
Dabei ist es eigentlich falsch, im Zusammenhang mit solchen Phänomenen von „Gräben“ zu sprechen. Denn Geowissenschaftler bezeichnen diese Gebilde als „Rinnen“. Grund: Gräben sind laut Definition durch tektonische Kräfte verursachte Einsenkungen der Erdoberfläche, die durch Dehnung gebildet werden. Die Tiefseerinnen sind aber das Produkt einer gegeneinander gerichteten Drift von Kontinentalplatten.
Dieter Lohmann
Stand: 15.06.2012