Hinweise auf Lügen, Verbrechen und Gewalt gibt es im Gehirn viele. Einen echten Nutzen vor Gericht haben sie aber bisher nur im Ausnahmefall. Das zumindest meint der Hirnforscher Michael Gazzaniga von der University of California in Santa Barbara. Befragt, was Psychiater im Gehirn eines Verbrechers sehen könnten, sagte er gegenüber dem Spiegel: „Mag sein, dass sie irgendetwas finden: Die Frage ist nur: Was sagt uns das?“ So zeigten Versuche zwar, dass Menschen mit schweren Schäden im präfrontalen Cortex eine etwa dreifach erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, gewalttätig zu werden. Aber davon gäbe es viele. „Wollen wir denen allen eine eingebaute Entschuldigung zugestehen?“
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Wann ist jemand schuldunfähig?
Ganz so einfach macht es sich die Rechtsprechung freilich nicht: „Ein Hirnscan oder ein anderer neurologischer Befund alleine reicht vor Gericht nicht aus, um die Schuldfähigkeit zu klären“, betont Rechtswissenschaftlerin Merkel. Der Richter mache sich ein umfassendes Bild unter Berücksichtigung aller Fakten. „Aber natürlich kann etwa ein Verteidiger solche Aufnahmen hinzuziehen, wenn er auf Schuldunfähigkeit plädiert.“
Im deutschen Strafgesetzbuch heißt es zur Schuldfrage (Paragraph 20): „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Gemildert werden kann die Strafe zudem dann, wenn ein Mensch zum Zeitpunkt der Tat nur eine verminderte Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Handelns einzusehen.
So wie bei den italienischen Mördern. Oder wie im Fall des Norwegers Andreas Behring Breivik. Der Mann, der im Sommer 2011 bei zwei Attentaten insgesamt 77 Menschen tötete, wurde für unzurechnungsfähig erklärt – ganz ohne Hirnscan übrigens. Aber ist er deswegen unschuldig? Gazzaniga verneint: „Ich würde es umdrehen: Schuldig aber krank.“
Trotzdem weggesperrt
Wie aber soll die Gesellschaft mit derart kranken Straftätern umgehen? Hierzulande lautet die Antwort meist forensische Psychiatrie, auch Maßregelvollzug genannt. „Dieses Urteil fürchten Täter in der Regel mehr als eine normale Haftstrafe“, sagt Markowitsch. „Forensik geht mit einer enormen Stigmatisierung einher, und die Verurteilten wissen nicht, wann und ob sie jemals wieder auf freien Fuß kommen.“ Das hängt nämlich nicht vom Strafmaß ab, sondern vom zuständigen Psychiater.
Stefanie Reinberger / dasgehirn.info – ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e. V. in Zusammenar
Stand: 08.06.2012