Das nächste Mal, wenn Sie zufällig auf eine Kakerlake treten, sollten Sie vielleicht kein allzu schlechtes Gewissen haben. Denn es könnte sich womöglich sogar um einen Akt der Gnade handeln. Zumindest wenn dort, wo Sie leben oder Urlaub machen, sowohl die Juwelwespe (Ampulex compressa) als auch die Amerikanische Großschabe (Periplaneta americana) zuhause sind.
Denn die in tropischen Regionen lebende Juwelwespe hat es „faustdick hinter den Ohren“ – jedenfalls, wenn es um ihren Nachwuchs und damit um die Weitergabe der eigenen Gene geht. Dann nimmt es das gerade mal 20 Millimeter große Insekt sogar mit der etwa doppelt so großen Kakerlake auf. Um dabei erfolgreich zu sein, hat die Grabwespe im Laufe der Evolution eine ausgeklügelte Strategie entwickelt.
Gifte im Doppelpack
Denn immer wenn die Eiablage ansteht, legt sich die blau-grün leuchtende Juwelwespe auf die Lauer. Der Hinterhalt ist gut gewählt und so dauert es meist nicht allzu lange, bis eine nichts ahnende Schabe in ihre Reichweite gerät. Dann geht alles ganz schnell: Die Juwelwespe stürzt sich auf ihr Opfer und sticht gleich zwei Mal zu. Zunächst in die Brust der Kakerlake zur kurzzeitigen Lähmung ihres Opfers und dann direkt ins Gehirn.
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Die Folgen vor allem des zweiten Giftangriffs sind dramatisch: Die Schabe wird zur lebenden Toten. Sie ist zwar noch bei Bewusstsein und kann auch noch problemlos laufen, ihr ist aber der Fluchtreflex abhanden gekommen, sie wirkt apathisch und willenlos. Das geht sogar soweit, dass sich Periplaneta americana von der Wespe zu ihren Sklaven machen und ohne Gegenwehr abführen lässt. Dazu packt die Wespe mit ihren Mundwerkzeugen eine der Antennen der Kakerlake und führt sie dann – wie ein Hündchen an der Leine – nachhause und damit ins Verhängnis.
Denn in der selbstgefertigten Höhle angekommen, legt Ampulex compressa auf ihrem neuen Leibeigenen ein Ei ab und fliegt dann davon. Nicht ohne allerdings den Ausgang der Höhle sicher verschlossen zu haben. Nachdem die Larve geschlüpft ist, kaut diese sofort ein Loch in den Leib der Kakerlake und verschwindet in ihrem Inneren. Dort angekommen, frisst die Larve ihr Opfer bei lebendigem Leibe auf.
Der Beziehung von Wespe und Schabe auf der Spur
„Das Ganze dauert sieben bis acht Tage. In der Zeit muss das Fleisch frisch bleiben“, erklärt der israelische Wissenschaftler Frederic Libersat von der Ben-Gurion Universität in Beer-Sheva, der sich schon seit einiger Zeit mit dem Verhalten von Wespe und Schabe beschäftigt. Hätte die Wespe die Schabe sofort getötet, wäre diese innerhalb eines Tages verrottet. Ist die Larve endlich satt, verpuppt sie sich im Inneren ihres Fresspaketes und kommt erst nach rund vier Wochen als voll entwickelte Wespe wieder zum Vorschein. Die Kakerlake stirbt. Das ist das Ende einer kuriosen Zweier-Beziehung, die vor allem von Unterjochung und Mundraub zu Gunsten des Wespennachwuchses geprägt ist.
Mittlerweile hat Libersat zusammen mit seinem Kollegen Ram Gal wichtige Indizien vorgelegt, wie die Wespe die Kakerlake zum willenlosen Objekt ihrer Begierde macht. So konnten die Forscher 2010 in der Fachzeitschrift „PLoS One“ den Zielort und die Wirkung des Wespenstichs ins Kakerlakenhirn enthüllen. Danach beruhen die Verhaltensänderungen der Schabe auf einer durch das Insektengift ausgelösten reduzierten Aktivität in einer kleinen Region ihres zentralen Nervensystems, dem SEG (sub-esophageal ganglion). Diese gilt als Steuerungszentrale für den Impuls zum selbstständigen Laufen beziehungsweise für den Fluchtreflex.
Sklaverei ist kein Einzelfall im Tierreich
So ungewöhnlich das Verhalten von Juwelwespe und Kakerlake auch wirken mag, es ist nur eins von vielen Beispielen für Sklavenhaltung im Tierreich. Mal sind es Artgenossen, die von anderen Tieren als Eigentum gehalten werden. Es kommt aber auch vor, dass Individuen anderer Spezies eingefangen und zu Frondiensten herangezogen werden.
Dieter Lohmann
Stand: 15.04.2011