Sie ist nur zwei bis drei Millimeter groß, liebt das Bedientwerden und gilt deshalb als typisches Beispiel für eine Sklavenhalter-Ameise: Protomognathus americanus. Diese Art lebt ausschließlich im Nordosten der USA und in den angrenzenden Regionen Kanadas und wird dort seit einiger Zeit von Biologen und Verhaltensforschern intensiv beobachtet.
Eine Kolonie von der Größe eines Fingerhuts
Schon das, was diese bisher über das winzige Insekt herausgefunden haben, ist einzigartig. Denn Protomognathus americanus bildet zwar genau wie beispielsweise unsere heimische Rote Waldameise Staaten, in denen eine geregelte Arbeitsteilung herrscht. Allerdings sind diese ausgesprochen klein. Statt hunderttausender Individuen beherbergen ihre Nester gerade mal ein paar Dutzend Bewohner. Neben einer Königin gehören dazu nur zwei bis fünf Arbeiterinnen und erstaunlicherweise bis zu 60 Sklaven. Das gesamt Gebilde würde von der Größe her problemlos in einen Fingerhut passen.
Alles-Inklusive-Service auf Insektenart
Die mit Duftstoffen umgepolten Leibeigenen garantieren ihren Besitzern eine Art „Alles-Inklusive-Service“ auf Insektenart, denn egal ob Brutpflege, Frühjahrsputz oder Futtersuche oder „Room-Service“: Das Personal erledigt klaglos alle anfallenden Arbeiten aufs Gründlichste. Das geht soweit, dass Protomognathus ohne ihre Sklaven nicht einmal mehr ansatzweise lebensfähig ist. Wissenschaftler sprechen deshalb auch von obligatorischen Sklavenhaltern.
Den „Herren“ macht deshalb auch nur eine Sache wirklich Sorgen: Fachkräftemangel. Denn die aus fremden Nestern erbeuteten Sklaven können sich im Protomognathus-Bau in der Blätter- und Streuschicht der nordamerikanischen Wälder nicht fortpflanzen und sterben deshalb regelmäßig aus.
Überfallkommandos auf Puppenjagd
„Die Sklavenmacher verlassen sich total auf ihre Sklaven. Sie werden sogar von ihnen gefüttert. Und das einzige auf das sie wirklich spezialisiert sind, ist das Nest zu verlassen und Wirtsnester zu überfallen“, erklärt der Biologe Sebastian Pohl von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er beschäftigt sich schon seit längerem zusammen mit seiner Kollegin, Professorin Susanne Foitzik, mit dem Verhalten von Protomognathus americanus.
Bevor die Sklavenhalter-Ameisen auf Raubzug gehen, schicken sie einzelne „Scouts“ in Form von Arbeiterinnen los, die vielversprechende Nester anderer Arten – etwa Temnothorax longispinosus – in der Nähe aufspüren und ausspionieren. Ist das optimale Angriffsziel identifiziert, kennt Protomognathus kein Pardon mehr und geht brutal auf Beutezug.
Ein Puppen-Dieb gegen 100 Verteidiger
Allein oder im Verbund mit eilig herbeigeholten Helfern greifen die Scouts dann das jeweilige Nest an und machen Jagd auf Temnothorax-Puppen. Die Angreifer schaffen es dabei häufig, sich selbst gegen eine gewaltige Übermacht an Gegnern durchzusetzen. Auf einen Puppen-Dieb können schon mal schnell 60 bis 100 Verteidiger kommen.
Die eroberten Puppen werden anschließend in den Protomognathus-Bau gebracht und dort von den „Alt-Sklaven“ gehegt und gepflegt bis aus ihnen der ersehnte Diener-Nachwuchs schlüpft. Dieser wird von den Sklavenhaltern umgehend mit den nesttypischen Duftstoffen manipuliert, fühlt sich damit der Gemeinschaft zugehörig und übernimmt ab da alle anfallenden Arbeiten.
Dieter Lohmann
Stand: 15.04.2011