Wer jemals einen Nacktmull mit eigenen Augen gesehen hat, wird diesen Anblick wohl nie mehr vergessen. Die Tiere scheinen völlig nackt zu sein, besitzen schmale Sehschlitze statt Augen, dafür aber überdimensionale Nagezähne. Bei einem tierischen Schönheitswettbewerb kämen sie wohl mit diesem Aussehen nicht über einen der allerletzten Plätze hinaus.
Exzentrischer Lebensstil
Doch nicht nur optisch sind die Nacktmulle Ostafrikas etwas ganz Besonderes, auch ihr Lebensstil hat einige Überraschungen parat. Denn die 50 Gramm schweren Nagetiere trinken beispielsweise nie – ihren Wasserbedarf decken sie ausschließlich über die Nahrung. Sie werden zudem bis zu 28 Jahre alt, weil sie keinen Krebs bekommen und sind darüberhinaus auch noch absolut schmerzfrei. Selbst Verbrennungen, Verätzungen oder Schnittwunden nehmen sie nicht als unangenehm wahr.
Und noch etwas unterscheidet die Nacktmulle von allen anderen Säugetieren: Sie leben in unterirdischen Kolonien von bis zu 300 Tieren zusammen, die einem Bienen- oder Ameisenstaat verblüffend gleichen. Da gibt es eine „Königin“, die alleine fruchtbar ist und Dutzende Junge pro Jahr bekommt. Daneben existiert eine zahlenmäßig große Kaste mit Arbeitern und Arbeiterinnen, die im Laufe ihres Lebens verschiedenen Jobs übernehmen: Tunnelgräber gehören genauso dazu wie Wächter oder Kindergärtnerinnen. Dabei ist es ausschließlich die Königin, die in der Nacktmull-Kolonie das Kommando hat, alle anderen müssen gehorchen.
Altruismus ist Trumpf
Wie das Zusammenleben genau aussieht, berichtet der Biologe Mario Ludwig 2010 in einem Beitrag für DRadio Wissen: „Diese Königin hält sich einen Harem von zwei bis vier Liebhabern, die ihr […] auf Abruf zur Verfügung stehen müssen. Die Königin hat also ein schönes Leben und die Liebhaber eigentlich auch. Die anderen Koloniemitglieder dagegen sind eigentlich nur bessere Sklaven, die müssen […] für die Königin und ihre Haremsherren als Babysitter oder als Soldaten oder als Bauarbeiter schuften.“
Ähnlich den Ameisen stellen dabei auch Nacktmulle das Allgemeinwohl über das individuelle und opfern sich für das Überleben der eigenen Gruppe zur Not auch auf. Wissenschaftler nennen dies Altruismus. Zumindest ein Grund dafür ist, dass die Tiere so die Chance erhöhen, die gemeinsamen Gene „durchzubringen“: Angehörige eines Nacktmull-Staates sind meist äußerst eng miteinander verwandt und teilen daher einen Großteil ihrer Gene.
Sklaverei pur
Erfüllt schon das rigide, von Gewalt geprägte Verhalten der Regentin nach menschlichen Maßstäben den Strafbestand der Freiheitsberaubung und Nötigung, so kommt bei näherem Hinsehen auch noch echte Sklaverei hinzu. Denn wenn es um Nachschub für die Arbeiterkaste geht, führen die Untergebenen auf Geheiß der Königin gelegentlich Überfälle auf nahe gelegene andere Nacktmullbauten durch. Dort haben sie es insbesondere auf die Jungtiere abgesehen. Diese werden geraubt und anschließend in den eigenen Bau verfrachtet.
„Die kleinen Mulle werden dann zu Sklaven aufgezogen und müssen ihr Leben lang Aufgaben in der Baukolonne übernehmen: Zum Anlegen neuer Gänge stellen sie sich in Reihen auf und transportieren die anfallende Erde nach draußen“, beschreibt Volker Stollorz in ZEIT Wissen eine der Aufgaben, die die Nacktmull-Sklaven später unter der Obhut ihrer Kidnapper zu erledigen haben.
Dieter Lohmann
Stand: 15.04.2011