Anfang 1961 überschlagen sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Ereignisse. In den USA erlebt das Mercury-Programm einen Erfolg nach dem anderen. Mit Mercury-Redstone-2 schickt die NASA im Januar den ersten Schimpansen in eine suborbitale Höhe, im Februar absolviert auch die neue Kombination aus Atlas-Trägerrakete und Mercury-Kapsel einen erfolgreichen Test.
In der Sowjetunion sind Sergej Koroljow und seine Kollegen dagegen noch fieberhaft damit beschäftigt, die Dezember-Fehlschläge zu analysieren und deren Ursachen zu beheben. Der nächste Testflug ist erst für den 9. März geplant. Entschließt sich die NASA, schon den nächsten Mercury-Flug mit einem menschlichen Piloten durchzuführen, haben sie verloren.
Unwissentlich kommt ihnen da Koroljows amerikanischer Erzrivale Wernher von Braun zu Hilfe: „Auf Anraten seiner Triebswerksspezialisten argumentierte von Braun, dass ein zusätzlicher automatisierter Redstone-Flug nötig sei, bevor die Freigabe für den Start eines Menschen gegeben werden könne“, erklärt NASA-Historiker Asif Siddiqi. Die NASA-Verantwortlichen akzeptieren die Empfehlung und verschieben den frühesten Starttermin für eine bemannte Mission auf Anfang Mai.
Erfolg für die „Türöffner“
Das gibt Koroljow die Zeit die er braucht. In schneller Folge starten am 09. und am 25. März 1961 zwei Korabl-Sputnik-Missionen, beide mit jeweils einem Menschendummy und einem Hund an Bord. Beide verlaufen absolut nach Plan und markieren damit den entscheidenden Wendepunkt im sowjetischen Raumfahrtprogramm. „Wostok 3K 2 war der Schlüssel für die Tür zu Gagarins Flug“, erklärt später der Raumfahrthistoriker James Oberg.
Koroljow schlägt dem sowjetischen Regierungschef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und dem Zentralkomitee den „Tag der Arbeit“ als möglichen Starttermin vor. Chruschtschow ist dies jedoch zu heikel, weil er nicht riskieren will, dass ein Fehlschlag die Feierlichkeiten überschattet. Er lässt Koroljow die Wahl, vor oder nach dem 1. Mai zu starten. Gedrängt von den Fortschritten des Mercury-Programms entscheidet sich dieser für eine Vorverlegung auf Mitte oder Ende April.
Gagarin oder Titow?
Die sechs Kosmonauten der „Vorhut“ probieren derweil in Tjuratam schon mal die SK-1-Raumanzüge an und üben den Einstieg in die Wostok-Kapsel. Noch sind alle sechs im Rennen um den Platz in der ersten Wostok-Mission. Nikolai Kamanin, der Leiter der Kosmonauten-Ausbildung, hat allerdings schon zwei Favoriten: German Titow und Juri Gagarin. „Beide sind exzellente Kandidaten, aber in den letzten paar Tagen höre ich mehr und mehr Leute für Titow sprechen, mein persönliches Vertrauen wächst auch. […] Das einzige, was mich davon abhält, ihn auszuwählen, ist die Notwendigkeit, die stärkere Person für einen Eintagesflug einzusetzen“, schreibt er am 5. April in sein Tagebuch.
Am 9. April 1961 bittet Kamanin die beiden Kosmonauten zu sich ins Büro und eröffnet ihnen die Entscheidung: Gagarin wird am 12. April 1961 die Wostok-1 Mission fliegen, Titow ist als Ersatzmann eingeteilt. Den zweiten Flug, bei dem nicht nur eine erste Umrundung der Erde geplant ist, sondern ein ganztägiger Flug, erhält Titow. Gefragt, wie er sich danach fühlte, erklärt Titow Jahre später: „Was für eine Frage! Schmerzhaft oder nicht – es war auf jeden Fall unangenehm.“ Zwar ist seine Mission bei weitem anspruchsvoller, doch den Ruhm für den ersten Flug wird allein Gagarin bekommen.
Nadja Podbregar