Sie ist seit dem Altertum bekannt, Menschen weltweit sind betroffen, doch es gibt keine Heilung. Wer Migräne hat, dem bleibt sie – wenn er Pech hat – ein Leben lang erhalten. Aber immerhin ist er damit nicht allein: Rund acht Prozent der Männer und 15 bis 25 Prozent aller Frauen leiden mehr oder weniger regelmäßig unter bohrenden Kopfschmerzen, Übelkeit, Lichtempfindlichkeit und zahlreichen anderen Begleiterscheinungen. Allein in Deutschland treten pro Tag, so schätzen Experten, rund 350.000 akute Migräneattacken auf.
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Die Axt im Kopf
Beginnt eine solche Migräneattacke, löst sie innerhalb von Minuten im Kopf der Betroffenen ein wahres Gewitter aus: Gehirnstoffwechsel und Durchblutung geraten aus dem Tritt und lösen bohrende und pulsierende Schmerzen aus. Oft einseitig im Schläfenbereich oder hinter einem Auge konzentriert, erreichen die Schmerzen eine Stärke, die einen Menschen fällen kann wie eine Axt. Helles Licht oder laute Geräusche sind dann die reine Folter, heftige Bewegungen lösen Übelkeit bis zum Erbrechen aus. Linderung verschafft oft nur Ruhe und ein abgedunkelter Raum, manchmal auch eine kühlende Kompresse. Im Durchschnitt vier bis 72 Stunden kann so eine Attacke dauern, manchmal aber auch deutlich länger. Arbeiten oder „Funktionieren“ im Alltag – in diesem Zustand unmöglich.
Kein Wunder, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Migräne als eine der 20 Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit weltweit einstuft. Durchschnittlich 17 Arbeitstage, so ergab eine Studie, gehen Migränikern pro Jahr durch akute Attacken verloren, die dadurch entstehenden Kosten und Ausfälle werden auf rund 2,5 Milliarden Euro beziffert. Wie oft ein Migräneanfall auftritt, ist allerdings sehr verschieden: Während einige Migräniker nur alle paar Jahre eine heftige Episode durchstehen müssen, leiden andere jeden Monat mehrfach, manche sogar jede Woche oder sogar täglich.
Neurotische Jammerlappen und Drückeberger?
Die Unberechenbarkeit der Krankheit und ihr häufiges Auftreten in den ungünstigsten Situationen ist für die Betroffenen oft schon schlimm genug, gleichzeitig aber hat sie ihnen obendrein noch ein schlechtes Image verpasst: „Migräne-Betroffene müssen nicht nur mit ihren Schmerzen fertig werden, sondern auch mit dem Missverständnis der Gesellschaft in Bezug auf diese Krankheit“, erklärt Stephen Silberstein, Leiter des Kopfschmerzzentrums am Germantown Hospital in Philadelphia. „Migräniker werden oft als neurotische Jammerer abgetan, die unfähig sind, Stress auszuhalten.“ Viele müssen mit dem Vorwurf leben, wehleidig oder hysterisch zu sein oder sogar Drückeberger: „Du nutzt die Kopfschmerzen doch nur als bequeme Ausrede“.
Zumindest in punkto Arbeit stimmt das so allerdings nicht. Eine Studie ermittelte, dass die mit Abstand meisten Migräneattacken sich nicht während der Arbeitszeit, sondern am Wochenende oder im Urlaub ereignen. Das allerdings tut dem Ruf der Krankheit keinen Abbruch: „Es gibt kaum ein Phänomen von solcher Größenordnung, das so von Mythen, Desinformation und Fehlbehandlungen betroffen ist wie die Migräne“, erklärt Joel Saper, Leiter des Michigan Kopfschmerz- und Neurologie-Instituts. „Gleichzeitig gibt es nur wenige Zustände, die einen während einer akuten Attacke so hilflos machen.“
Was Migräne auslöst, was dabei im Gehirn geschieht und wie sie am besten behandelt wird, darüber gab und gibt es noch immer unzählige unterschiedliche Ansichten. Klar ist nur eines: Heilbar ist sie nicht.
Nadja Podbregar
Stand: 04.03.2011