Romain Charles ist ein Gefangener: Zusammen mit fünf anderen Männern lebt er für eineinhalb Jahre abgeschlossen von der Umwelt in einer beengten Röhre. Das Essen ist streng rationiert, es gibt ein straffes Arbeitsprogramm und seine Mitgefangenen hat er sich auch nicht selber ausgesucht. Und dennoch ist Charles am Ziel seiner Träume: Genau dies hat er sich gewünscht, darauf hat er monatelang hingearbeitet. Denn der Franzose ist auf dem Weg zum Mars – und bleibt doch fest auf der Erde.
Generalprobe für Langzeitflug zum Mars
Charles ist einer der beiden von der europäischen Weltraumagentur ESA ausgewählten Teilnehmer am Mars-500-Projekt. Das Gemeinschaftsvorhaben der ESA und der russischen Weltraumagentur Rokosmos testet unter realitätsnahen Bedingungen die extremen physischen und psychischen Belastungen, die eine Mission zum Mars für die Besatzung eines Raumschiffs bedeuten würde. Erste Erkenntnisse über das Leben in der Schwerelosigkeit und in enger Gemeinschaft an Bord eines Raumfahrzeugs lieferten zwar bereits die Apollo-Flüge zum Mond und die Internationale Raumstation ISS. Aber ein Flug zum Mars stellt in gleich mehrfacher Hinsicht ein besonderes Extrem dar.
„Etwa 250 Tage für den Hinflug, 30 Tage Aufenthalt auf der Oberfläche des Mars und 240 Tage für den Rückflug. Experten gehen davon aus, dass eine Langzeitmission zum Mars insgesamt wahrscheinlich 520 Tage dauern wird“, erklärt Wolf Mann, Mediziner an der Universitätsklinik der Universität Mainz und einer der Wissenschaftler, die das Projekt begleiten. „Dabei gilt es, über rund eineinhalb Jahre lang mit sechs Personen auf engstem Raum auszukommen.“ Welche Folgen diese Extremsituation auf Körper und Geist der Besatzung hat, soll das Mars-500 Projekt jetzt zeigen – und auch, wie sich die Bedingungen optimieren lassen.
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Multinationale Crew in russischem Pseudoraumschiff
Gemeinsam mit einem Italiener, drei Russen und einem Chinesen erfährt ESA-Astronaut Charles seit dem 3. Juni 2010 am eigenen Leibe, was es bedeutet, als Astronaut eine Reise zum Roten Planeten und wieder zurück zu erleben. Die „Röhre“, in der Charles sich noch bis zum 5. November 2011 aufhalten wird, fliegt zwar nicht durch das All, sondern steht in einer Halle des Instituts für biomedizinische Probleme (IBMP) in Moskau.
Doch die Isolierstation ist ein durchaus realistischer Nachbau der Struktur, wie sie auch in einem echten Mars-Raumschiff existieren würde. Auf 180 Quadratmetern sind Schlaf-, Wohn- und Arbeitsbereiche, Vorratskammer und Sportraum zusammengedrängt. Zwar gibt es im „Pseudoraumschiff“ keine Schwerelosigkeit, und auch keine Bullaugen, die den Blick auf den schwarzen Weltraum freigeben. Aber in fast allen anderen Aspekten entsprechen die Bedingungen denen eines Raumflugs ziemlich genau. Sogar die Manöver zum Andocken ans Landemodul und die spätere Landung werden simuliert.
„Heiße Phase“ mit Marslandung beginnt Anfang Februar
Das passiert schon in wenigen Tagen, denn dann geht das Projekt in seine heiße Phase: Am 1. Februar 2011 tritt das Mars-500 „Raumschiff“ in die simulierte Marsumlaufbahn ein und die Vorbereitungen zur Abkopplung des Landemoduls werden getroffen. Für die Besatzung bedeutet dies: Andockmanöver durchführen Umpacken und schließlich das Umsteigen von drei Besatzungsmitgliedern in die kleinere „Röhre“ des Landemoduls.
Die „Marslandung“ inklusive dreier Ausflüge in ein eigens dafür eingerichtetes Marsoberflächen-Habitat erfolgt Mitte Februar. Die Rückkehr des Landemoduls zum Mutterschiff steht am 19.Februar an. Nach Umsteigen der Landecrew und dem Umpacken wird am 1. März die Verbindungsluke zum Landemodul wieder geschlossen, der Rückflug der sechs Astronauten zur Erde beginnt. Ende des Flugs ist der 5. November 2011, nach genau 520 Tagen „im All“.
Funkkontakt nur mit Verzögerung
Während der gesamten Zeit findet ein Kontakt zur Außenwelt nur über Funk und e-Mail statt, allerdings auch dies mit Einschränkungen: Wie bei einem realen Marsflug nimmt die Verzögerung, mit der Funksignale beantwortet werden, auf dem Hinweg von Tag zu Tag zu. Zwei mal 20 Minuten werden es im Maximum sein – so lange wären Funksignale vom 50 Millionen Kilometer entfernten Roten Planeten zur Erde und wieder zurück unterwegs. Die Astronauten sind daher im Ernstfall erst einmal auf sich allein gestellt.
Nadja Podbregar
Stand: 21.01.2011