Ein ganz normaler Morgen an Bord des Mars-500-„Raumschiffs“. Wie fast immer wird ESA-Astronaut Romain Charles morgens um acht Uhr geweckt. In seinem Privatraum – einer eher spartanischen Zelle von 3,30 Metern Länge und 2,80 Metern Breite – ist knapp Platz für eine schmale Pritsche, einen Stuhl, einen kleinen Tisch und ein Bord an der Wand für die spärliche persönliche Habe. Das Ganze gleicht mehr dem Innenraum einer 1970er-Jahre DDR-Datsche als einem futuristischen Raumschiff. Statt metallverkleideter Wände gibt es flächendeckende Paneele im Eichenholz-Look.
Medizincheck am Morgen
Noch vor dem Aufstehen ist für Charles der erste medizinische Check an der Reihe: Temperatur-, Blutdruck- und Pulsmessen, dann auf die Waage und das Gewicht registrieren lassen. Alle Daten werden digital an die Bodenstation übermittelt. Draußen, im engen Gang des Wohnmoduls hört der ESA-Astronaut bereits die Stimmen seiner Kollegen: Alexey Sitev und Sukhrob Kamolov sind wie immer die ersten, die sich von ihren Kammern aus nach hinten zur Miniaturtoilette begeben, um dort die obligatorische Urinprobe abzugeben.
Jedes Besatzungsmitglied trägt ständig einen Container mit sich, der jeden Tropfen abgegebenen Urin auffängt. Jeden Morgen muss das gesammelte Volumen der letzten 24 Stunden gemessen, ein paar medizinische Proben genommen und dann der Behälter für den neuen Gebrauch ausgewaschen werden. Apropos waschen: Eine morgendliche Dusche ist für die Mars-500-Astronauten die Ausnahme: Um Wasser zu sparen, darf jeder nur alle zehn Tage einmal duschen, den Rest der Zeit ist Katzenwäsche angesagt.
Dann heißt es, sich durch den Schlauch von Gang zurückwinden in Richtung Küche. „Der Gang ist wirklich ein Flaschenhals für unsere morgendlichen Pflichten“, erzählt Charles in seinem Bordtagebuch. „Es ist ein Wunder, dass wir alle nur 30 Minuten nach unserem Wecken zusammen um den Küchentisch sitzen und frühstücken.“
Mit dem Barcode-Scanner auf der „Jagd“
Was jedes einzelne Besatzungsmitglied frühstückt, ist streng vorgegeben. Einfach mal spontan was aus der Vorratskammer holen, gibt es nicht. Stattdessen haben Wissenschaftler schon im Vorfeld jedem Mars-500-Astronauten für jeden einzelnen Tag der Mission die entsprechende Essensration zugeteilt. Die meist tiefgefrorenen oder gefriergetrockneten Nahrungsmittel sind über Barcode fein säuberlich der Person, dem Tag und der Mahlzeit zugeordnet. Jeweils am Abend jedes Tages holt der „Diensthabende“ alle Essenpakete aller Besatzungsmitglieder aus dem Vorratsmodul, der längsten Röhre der Isolierstation.
„Die nächtlichen Exkursionen in das Vorratsmodul erinnern mich daran, wie unsere urzeitlichen Jäger- und-Sammler-Vorfahren ihre Höhlen verließen und zur Jagd in die Wälder zogen, um Nahrung für ihren Stamm zu besorgen. Nur dass wir statt mit Pfeil und Bogen mit einem modernen Barcode-Leser ausgerüstet sind“, beschreibt Charles. „Wir zielen mit diesem Barcode-Leser und ‚jagen‘ erbarmungslos Trockenfrüchte, Proteinriegel, Trockennudeln und ähnliches. Dann kommen wir ‚nach Hause‘ zurück und bereiten alles für den nächsten Tag vor.“
Dieser Barcode-Leser sorgt auch dafür, dass die Männer beim Wechseln ihrer Kleidung – Unterwäsche und T-Shirts alle drei Tage, Shorts alle zehn – nicht versehentlich die Klamotten eines anderen erwischen. Denn angezogen wird hier nicht Privatkleidung, sondern die „Dienstkluft“. Verschmutzte Kleidung wird nicht gewaschen, sondern entsorgt: „Wenn die Kleider dreckig sind, werfen wir sie raus in den Weltraum“, so Charles.
Fitnesstraining, Experimente, Flugmanöver
Nach dem Frühstück ist Arbeitszeit: Die Besatzungsmitglieder führen die jeweils anstehenden Experimente durch. Immerhin 100 davon müssen sie während der 520 Tage absolvieren, die Themen dabei reichen von Psychologie und Physiologie bis hin zu Mikrobiologie und medizinischen Notfallübungen. Einige der damit verbundenen Tests müssen alle absolvieren, andere Aufgaben fallen nur den vier offiziellen Wissenschaftlern der Besatzung zu. Pflichtprogramm für alle ist das tägliche Fitnesstraining im Sportraum, einer abgeteilten Ecke im Vorratsmodul. Hier wird unter anderem die Wirksamkeit verschiedener Methoden für die Erhaltung der Kondition und Muskelkraft sowie der Knochenstabilität getestet.
Die beiden Piloten, Crew-Kommandant Alexey Sergevich und Flugingenieur Romain Charles, widmen einen Teil ihrer Arbeitszeit der Vorbereitung auf die bei Ankunft am Mars anstehenden Flugmanöver: das Abkoppeln und wieder Andocken des Landemoduls, das Manövrieren durch die Marsatmosphäre zur Oberfläche und schließlich die Landung selbst. All dies wird an Simulatoren mit naturgetreuen Nachbildungen der Raumschiffsteuerung zunächst geübt und dann im Februar bei der Marslandung durchgeführt.
Mittags und zum Abendessen findet sich die gesamte Besatzung wieder am Küchentisch zusammen. Die Mahlzeiten dienen gleichzeitig auch dem Austausch über Probleme, Fortschritte und Besonderheiten im jeweiligen Tagesprogramm. Der Abend und die Wochenenden sind „frei“. Abgesehen von den medizinischen Routinetests hat dann jeder Astronaut Zeit um zu lesen, e-Mails zu schreiben oder sich mit den anderen im Gemeinschaftsraum zu treffen und zu reden oder zu spielen.
Nadja Podbregar
Stand: 21.01.2011