Die Zeit zieht sich endlos in die Länge, längst ist jedes Detail der Einrichtung erkundet und auch die Kollegen kann man langsam nicht mehr sehen. Dann wiederum tritt plötzlich ein Notfall ein, eine Situation, in der die gesamte Gruppe reagieren muss wie aus einem Guss. Jeder muss das Richtige tun und dies schnell und möglichst ohne Diskussionen. Ob real, wie im April 1970 im Fall des explodierten Sauerstofftanks der Mondmission Apollo-13, oder simuliert, wie im Falle des Transformatorenbrands und Stromausfalls der Mars-500 Mission im Dezember 2010.
Die Gruppe als psychologischer Stressfaktor
Aber selbst ohne dramatische Ereignisse ist bei solchen Missionen schon das normale, pausenlose Eingesperrtsein auf engstem Raum mit anderen Menschen eine Extremsituation. Auch wenn wir soziale Wesen sind, erzeugt diese Art der Isolation und Zwangsgemeinschaft psychischen und sozialen Stress, den nicht jeder verkraftet. Das zeigen auch Erfahrungen mit U-Boot-Besatzungen oder von Überwinterern in einer Polarstation. Wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann, eskalieren auch Kleinigkeiten schnell zu handgreiflichen Konflikten.
„Das ist ein bisschen wie in einer Ehe: Man kennt sich einfach so gut, man kennt die Schwächen, über die man beim anderen anfangs noch gelächelt hat. Doch beim dritten, vierten, fünften, 35., 75. Mal kann einem da einfach der Kragen platzen“, erklärt Oliver Knickel. Der deutsche Bundeswehr-Ingenieur nahm im Jahr 2009 als ESA-„Astronaut“ an der ersten Phase des Mars-500 Projekts teil, einem 105-Tage dauernden Isolationsversuch. Auch er lebte damals mit fünf anderen Besatzungsmitgliedern, vier Russen und einem Franzosen, in den Isolationsmodulen des Instituts für biomedizinische Forschung. Unter seinem russischen Kollegen kam es damals zum Streit um die Essensrationen, der jedoch schnell beigelegt werden konnte.
Silvester-Prügelei in Pseudo-ISS
Deutlich handfester ging es dagegen bei einem Isolationsversuch im Jahr 1999 zur Vorbereitung von Langzeitaufenthalten auf der Raumstation ISS zu. Damals wurden drei Gruppen von Teilnehmern zunächst voneinander isoliert untergebracht, später dann die Luken geöffnet – um beispielsweise den Besuch von Shuttle-Crews oder die Situation bei einem Schichtwechsel an Bord der Raumstation zu simulieren.
In der Silvesternacht eskalierten die seit Hinzukommen der dritten Gruppe aufgetretenen Spannungen: Zwei russische Kosmonauten begannen eine Prügelei, bei der sogar Blut floss. Ein weiterer Russe versuchte, die einzige Frau der Crew, eine Kanadierin, zu einem Kuss zu zwingen. Nach anschließenden Protesten einiger Besatzungsmitglieder wurde die Luke zum Modul 1 wieder geschlossen und die Gruppen getrennt.
Die spätere Auswertung dieses Vorfalls ergab, dass vor allem kulturelle Unterschiede zwischen den Russen und den nicht-russischen Besatzungsmitgliedern zu den Konflikten geführt hatten. Zur Rede gestellt, wiesen die Russen darauf hin, dass es in Russland ganz normal und nicht so ernst zu nehmen sei, wenn sich Männer mal prügelten oder sie eine Frau im Überschwang der Gefühle küssten. Sie hätten erwartet, dass die Kanadierin das Ganze mit einem Lachen abtun oder sich mit einer Ohrfeige revanchieren würde. Die anderen Besatzungsmitglieder hatten für diese unkontrollierte Handgreiflichkeit und Emotionalität jedoch keinerlei Verständnis und fühlten sich bedrängt und unwohl.
Nadja Podbregar
Stand: 21.01.2011