Durch vergangene Erfahrungen schlauer geworden, spielt heute die Psychologie bei der Auswahl von geeigneten Kandidaten für Langzeitmissionen im Weltraum eine weitaus größere Rolle als in der Prä-ISS-Ära. Alle Bewerber müssen sich umfangreichen psychologischen Tests unterziehen, die ihre soziale Kompetenz und Teamfähigkeit, aber auch ihre psychische Belastbarkeit und ihr „funktionieren“ unter Stress prüfen sollen.
Nie mehr Frauen an Bord?
Die russische Weltraumagentur Rokosmos zog zudem noch eine ganz andere Konsequenz: Sie lässt grundsätzlich keine weiblichen Teilnehmer mehr zu Isolationsversuchen oder Langzeitmissionen zu. Für die westlichen Weltraumagenturen kommt dies jedoch nicht in Frage. Sollte es tatsächlich zu einer echten Marsmission kommen, wollen sie auf jeden Fall eine gemischtgeschlechtliche Crew.
Die ESA hatte für das aktuelle Mars-500 Experiment auch weibliche Bewerber im Auswahlprozess, diese scheiterten jedoch im Laufe der umfangreichen medizinischen, psychologischen und fachlichen Tests. Das allerdings war nicht schwer: von 300 Bewerbern erreichten nur vier die Endrunde. Romain Charles erzählt in seinem Bordtagebuch: „Obwohl ich schon vorher an Weltraumprojekten beteiligt war, bereitete Mars-500 mir einiges an Überraschungen. Das fing schon beim Auswahlprozess an: Bevor ich in Russland ankam, war mir nicht klar, dass eine solche Menge von medizinischen Tests an einem menschlichen Wesen durchgeführt werden können.“
Gruppendynamik im Visier
Auch bei den begleitenden Forschungsprojekten von Mars-500 stehen Entstehungsmechanismen sozialer Spannungen und der Umgang mit psychischer Belastung im Vordergrund. Per Kamera werden die Teilnehmer ständig beobachtet, ihre Gehirnströme, Kreislaufdaten und der Spiegel der Stresshormone im But werden regelmäßig überwacht. Zudem müssen Charles und seine Kollegen regelmäßig Fragebögen zu ihrer Befindlichkeit ausfüllen oder psychologische und kognitive Tests absolvieren.
Besonders genau will es Bernd Johannes vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt wissen: „Die Kandidaten tragen einen ‚Satelliten‘, einen Sensor, der feststellt, welche Satelliten gleicher Bauart in der Nähe sind“, so Johannes. Damit kann beispielsweise festgestellt werden, welche Mars-500 Astronauten sich besonders häufig in der Nähe eines anderen aufhalten, welche sich gut verstehen und auch, welche sich möglicherweise meiden.
Diese zwei Mal in der Woche den gesamten Tag lang getragenen Sensoren sollen den Wissenschaftlern ein objektives Bild über die Gruppendynamik an Bord geben – objektiver, als es die bisherige Praxis der Fragebögen vermag. „Bei diesen haben die Mitglieder über das Beziehungsgefüge nachgedacht und das hat oft Auswirkungen auf den zukünftigen Umgang miteinander“, erklärt Johannes.
Nadja Podbregar
Stand: 21.01.2011