Es ist der 19. November 2009, ein scheinbar ganz gewöhnlicher Donnerstag im englischen Norwich: Wie immer macht sich Phil Jones auf den Weg zur Arbeit. Er ist Leiter der renommierten Climate Research Unit der Universität von East Anglia und hat immer reichlich zu tun: Zu seinen ständigen Aufgaben gehört unter anderem die Auswertung von Wetterdaten rund um die Welt, um daraus eine Übersicht der globalen Temperaturentwicklung zu erstellen. Daneben ist er als Reviewer für verschiedene Fachpublikationen und auch den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) tätig.
Und dann gibt es da noch die E-Mails von Kollegen, die sich über neue Erkenntnisse, Ereignisse oder Daten austauschen wollen, Anfragen von ihm bekannten oder unbekannten Forschern, die Einblick in bestimmte Rohdaten möchten und zahllose Hinweise auf Organisatorisches, Konferenzen, Deadlines etc. Um das überquellende Postfach einigermaßen unter Kontrolle zu behalten, löscht Jones regelmäßig Altes und Erledigtes, und versucht, die restlichen E-Mails möglichst schnell und knapp zu beantworten – nichts Ungewöhnliches also.
„Die Zeit, die wir für Forschung noch haben, scheint immer weniger und weniger zu werden. Entweder man erkennt die Dinge, die einem die Zeit nehmen oder man findet sich dabei wieder, auch an Wochenenden und abends noch zu arbeiten, zum Ärger der Familie“, erklärt Jones im November 2010 in „Nature“ das Dilemma. Gerade im Herbst wird es immer besonders eng, denn dann muss der Forscher den Großteil seiner Lehrverpflichtungen erfüllen. Trotz dieser Last ist Jones produktiv, veröffentlicht in „Nature“ und anderen renommierten Journalen und ist, obgleich in der Öffentlichkeit kaum bekannt, unter Kollegen sehr angesehen.
Der Hackerangriff
Doch noch bevor dieser 19. November vorüber ist, wird für Phil Jones nichts mehr so sein wie es war. Denn was der Forscher nicht ahnt: Hacker haben den Server der Universität von East Anglia geknackt und mehr als 1.000 private E-Mails der Klimaforscher, aber auch tausende weiterer Dokumente kopiert und in der Nacht frei ins Internet gestellt – unter anderem auf die Server von Wikileaks. Die aus den Jahren 1996 bis 2009 stammenden Daten, die ungeachtet ihres illegalen Ursprungs sofort von verschiedensten Medien, Bloggern und nicht zuletzt bekannten Klimaskeptikern heruntergeladen und durchmustert werden, erweisen sich als „Bombe“.
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Schnell kursieren Gerüchte von einer „Verschwörung“. Unter anderem soll Jones in seinen E-Mails gegenüber Kollegen offen von einer Manipulation von Klimadaten gesprochen haben, die die globale Erwärmung stärker erscheinen lassen. Außerdem wollen die Medien in den Mails Hinweise auf eine Art Kartell innerhalb der Klimaforscher entdeckt haben. Dieses habe, so der Vorwurf, die Veröffentlichung missliebiger Fachartikel in Zeitschriften aber auch im Bericht der IPCC aktiv und mit unlauteren Mitteln unterdrückt. Ziel sei es dabei gewesen, zu verhindern, dass Ergebnisse, die den Klimawandel relativieren, an die Öffentlichkeit gelangen. Um Klimaskeptikern keine Munition zu liefern, soll Jones seine Kollegen sogar zur Löschung von Daten aufgefordert haben.
In den Medien ist daraufhin vom „Climategate“, dem „größten Wissenschaftsskandal aller Zeiten“ die Rede. Wenige Tage vor Beginn der entscheidenden Weltklimakonferenz in Kopenhagen stehen Phil Jones und mit ihm die gesamte Zunft der Klimaforscher plötzlich am Pranger. Die gesamte Forschung zur globalen Erwärmung erscheint zwielichtig und wenig vertrauenswürdig. Aber was steckt wirklich hinter den Vorwürfen? Was ist dran am „Climategate“?
Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010