Egal ob ausgesetzt oder entflohen: Riesenschlangen wie der Tigerpython oder die Boa constrictor hatten in den USA kaum Schwierigkeiten in freier Natur zu überleben. Die Gründe dafür legte im Oktober 2009 eine Studie des U.S. Geological Survey (USGS) in Denver offen. Und noch eins machte der Report unmissverständlich klar: Die Riesenschlangen sind keine Bereicherung für die Tierwelt in den Staaten, ganz im Gegenteil.
Anpassungsfähige Riesenschlangen
„Was sie zu einer echten Bedrohung für einheimische Tiere und Ökosysteme macht, ist dass die Schlangen schnell geschlechtsreif werden, sehr viele Nachkommen produzieren, große Strecken zurücklegen und einen vielfältigen Speiseplan haben, auf dem auch die meisten heimischen Vogel- und Säugetierarten stehen“, erklärt Gordon Rodda vom USGS. Doch Riesenschlangen besitzen noch viele andere Vorzüge, die ihren Siegeszug begünstigten. Dazu gehören eine extreme Anpassungsfähigkeit an die Umweltbedingungen und die Möglichkeit, die verschiedensten Habitate zu besiedeln.
Und auch für die Zukunft sieht das USGS bei der Bekämpfung der Invasion eher schwarz. Denn der weiteren Ausbreitung der Tiere scheinen kaum natürliche Grenzen gesetzt. So kämen vom Klima her neben den bisher schon betroffenen Staaten wie Florida auch Texas, Hawaii und andere pazifische Inseln sowie Guam und Puerto Rico für eine Besiedlung in Frage. Einige Arten wie der Tigerpython würden dem USGS zufolge aber auch in den kontinentalen Gebieten Amerikas problemlos zurechtkommen.
Tötung als letzte Rettung?
Dass die Wissenschaftler um Rodda recht haben könnten, zeigt ein im Mai 2006 entdecktes neues Phänomen in Zusammenhang mit der Riesenschlangenplage. Denn längst haben es zwei eventuell sogar drei Arten – Tigerpython, Boa constrictor und Nördlicher Felsenpython – geschafft, sich in Florida in freier Natur fortzupflanzen. Den Forschern zufolge ein entscheidender Schritt zur dauerhaften Etablierung in einem neuen Lebensraum.
Allein in Florida wurden seitdem ein Nest und acht schwangere Riesenschlangen entdeckt. Alle gefundenen Tiere sind sofort von Experten eingeschläfert worden. „Wenn du weißt, dass sie brüten, ist Ausmerzung die einzige Lösung. Weibchen können Sperma aufbewahren und sind deshalb in der Lage, fruchtbare Gelege auf Jahre hin zu erzeugen. Und eine 50 Kilogramm oder mehr wiegende Schlange kann locker 60 bis 80 Eier pro Brutperiode produzieren“, nennt Schlangenexperte Frank Manzotti von der Universität Florida (UF) den Grund für die Tötungen.
Doch mit solchen Einzelaktionen kann man der Riesenschlangenarmada natürlich nicht Herr werden, das wissen auch Manzotti & Co. Sie versuchen deshalb zusammen mit einigen Kollegen mehr über die Ausbreitung der Tiere zu erfahren und die bisher besetzten Lebensräume zu enthüllen. Neben Radiotelemetrie und neuartigen Fallen sind dabei auch Beobachtungen von normalen Bürgern und bereits eingefangene Riesenschlangen eine wichtige Hilfe.
Mit Schlangen gegen Schlangen
„Judas-Schlangen“ nennt Mazotti letztere. Denn mit Funksendern bestückt, werden sie wieder in die Freiheit entlassen – aber nur um die Wissenschaftler zu anderen wilden Pythonschlangen zu führen. Die neue Methode brachte erstaunlichen Erfolg. Insgesamt zwölf Tigerpython konnten mithilfe von nur vier Judas-Schlangen in kurzer Zeit aufgespürt werden.
Die Forscher wollen deshalb dieses Verfahren in Zukunft verstärkt einsetzen, sie hoffen aber auch auf die Entwicklung eines künstlichen oder natürlichen Sexuallockstoffs. An bestimmten Stellen in großem Maßstab freigesetzt, soll er „liebestolle“ Pythons in Massen in vorbereitete Fallen locken.
Bis es soweit ist, wird es wohl noch ein Weilchen dauern. Bis dahin bleibt den Wissenschaftlern nichts anderes übrig als notfalls die Sache auch persönlich in die Hand zu nehmen. „…Wenn du einen Python siehst, musst du einfach irgendeinen Teil des Körpers zu fassen bekommen und hoffen, dass du stärker bist als der Python. Du musst den Kopf unter Kontrolle bringen, bevor er dich kriegt“, erklärt Mazotti die einigermaßen verwegen klingende Fangmethode. Doch: „Im Großen und Ganzen sind wir sehr, sehr erfolgreich damit“. Der Zoologe ist noch nie von einem Python gebissen worden – behauptet er zumindest.
Keine Hoffnung auf Ausrottung
Was die Beseitigung der Schlangenplage betrifft, ist Mazotti jedoch keineswegs allzu optimistisch. Er glaubt nicht, dass die Pythonschlangen und ihre Verwandten in absehbarer Zeit ausgerottet werden können. Stattdessen wollen die Wissenschaftler die Bestände kontrollieren und wenn nötig dezimieren. So sollen als Beute in Frage kommende einheimische Tieren wie die bedrohte Key Largo Woodrat oder der Waldstorch eine Überlebenschance erhalten.
Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010