Wir schreiben das Jahr 1866. In den Zeitungen der Zeit beherrscht vor allem ein Thema die Schlagzeilen: das „Seeungeheuer“. Das offenbar riesenhafte Wesen rammt Schiffe und bringt sie so zum Untergang, einige Besatzungen können knapp entkommen und schildern ihre Abenteuer in immer neuen Superlativen. Ein Ungeheuer oder aber ein Unterwasserfahrzeug mit außerordentlicher mechanischer Kraft, so glaubt man, treibt dort draußen auf dem Ozean sein Unwesen.
Mit diesem Szenario beginnt einer der bekanntesten Abenteuerromane und technischen Fiktionen überhaupt: Jules Vernes Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“. Im zweiteiligen, 1869 und 1870 veröffentlichten Roman, beschreibt Verne aus der Perspektive des französischen Meereskundlers Professor Pierre Arronax dessen Erlebnisse während der Suche nach dem Ursprung dieser geheimnisvollen Schiffsunglücke und nachdem er diesen gefunden hat.
„Phänomen von Menschenhand“
Nachdem auch sein Schiff versenkt wird, landen Arronax und seine Gefährten als Schiffsbrüchige ausgerechnet auf dem Rumpf des gefürchteten „Seeungeheuers“ – und stellen fest, dass es sich um ein Wasserfahrzeug handelt: „Das Tier, das Ungeheuer, das Naturphänomen, das die ganze gelehrte Welt, die Einbildungskraft der Seeleute verrückt und irre geleitet hatte, man musste es wohl anerkennen, war ein noch erstaunlicheres Wunder, ein Phänomen von Menschenhand.“
An Bord der Nautilus – so der Name des seltsamen Gefährts – erfahren Arronax und Co., dass sie sich in einem Unterseeboot befinden. Dessen Kapitän Nemo eröffnet ihnen, dass sie nunmehr Gefangene sind: „Sie sind durch Überraschung in den Besitz eines Geheimnisses gelangt, in das kein Mensch auf der Welt dringen darf, das Geheimnis meines Daseins!“ Nemo, der verbittert durch ein schweres Schicksal mit der Menschheit gebrochen hat, meidet das Land und lebt nur noch von den Ressourcen des Meeres und Meeresbodens.
Unterwegs mit der Nautilus
Die Nautilus hat der geniale Ingenieur Nemo so umgerüstet, dass es nahezu autark ist und er das Festland niemals mehr betreten muss. In einer ersten ausführlichen Führung lernt Arronax die einzigartigen an Bord des U-Boots eingesetzten Technologien kennen und in zahlreichen Gesprächen erklärt Nemo ihm – und den Lesern – deren Funktionsprinzipien. Das elektrisch angetriebene Schiff ist schnell und wendig wie ein Delfin, kann tausende Meter tief tauchen ohne Schaden zu nehmen und glänzt in seinem Inneren mit allen nur erdenklichen, ebenfalls elektrifizierten Annehmlichkeiten. Von der Realität der damaligen Seefahrt ist all dies meilenweit entfernt – wie auch Kapitän Nemo weiß:
„Ein Schiff wie es sein soll!“
„Wenn auf einem eurer Schiffe, die den Wechselfällen des Ozeans ausgesetzt sind, alles voll Gefahr ist; so hat da unten an Bord der Nautilus das Gemüt des Menschen keinen Grund zur Besorgnis mehr; da ist kein Leckwerden zu fürchten, keine Beschädigung des Takelwerks oder der Segel, kein Zerspringen der Dampfkessel, keine Feuersbrunst, kein Kohlenmangel, kein Zusammenstoß und kein Sturm. Einige Meter unter der Oberfläche ist unbedingte Ruhe der Gewässer. Das, mein Herr, das ist ein Schiff, wie es sein soll!“
Im Laufe der nächsten Monate erleben Arronax und seine Gefährten zahlreiche Abenteuer, erkunden exotische Gefilde, kämpfen gegen Kraken und Haie, finden Atlantis und tauchen sogar unter dem Eis der Antarktis. Schließlich, während die Nautilus in den Maelstrom, einen Meeresstrudel vor Norwegen gerät, fliehen Arronax und seine Gefährten im Beiboot des Schiffs.
Das gesamte Geschehen wird geschildert in der für Jules Verne typischen Verbindung von spannender Abenteuergeschichte, garniert mit detaillierten Beschreibungen echter und erfundener technischer Errungenschaften und Phänomene. Er gilt bis heute als genialer Visionär, als Technikoptimist mit fast schon prophetischen Fähigkeiten. Aber wie fundiert war Vernes Technikwissen wirklich?
Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010