Heute ist das nordöstlich von Mexiko Stadt gelegene Teotihuacan eine verfallene Ruine – aber noch immer beeindruckend in ihrer Größe und Monumentalität. Die Überreste von gewaltigen Tempelpyramiden, ein riesiger Palast und zahlreiche von einer hohen Mauer umgebenen Wohnkomplexe zeugen von der einstigen Bedeutung dieser Stadt. Kurz nach Christi Geburt war Teotihuacan eine der größten Städte der Welt: Ihr regelmäßiges Raster von Wohnblocks und Straßen erstreckte sich über rund 36 Quadratkilometer und hatte zwischen 25.000 und 125.000 Einwohner – je nachdem, welcher Quelle man folgt.
Erbaut wurde Teotihuacan von einer Kultur, die noch immer in vielem rätselhaft ist. Wie die Bewohner der Stadt lebten, welchen Glauben sie hatten und welche Kultur, ist noch immer nur in Teilen bekannt. Schriftliche Zeugnisse dieser Kultur gibt es nicht. Aufschluss geben nur archäologische Funde und vor allem zahlreiche Wandmalereien in den Ruinen der Stadt. Rätselhaft bleibt auch, woher diese Menschen kamen und warum diese zeitweise über weite Teile Mittelamerikas herrschende Großmacht etwa ab 650 n.Chr. zu verschwinden begann.
Pigmente in der Graburne
Ein kleines Puzzlestück zur Lösung der Rätsel haben spanische Forscher im Januar 2013 geliefert. Sie hatten den Inhalt von Grabgefäßen näher untersucht, die bei Ausgrabungen in Teotihuacan gefunden wurden. Neben Knochen der zwischen 200 und 500 nach Christus gestorbenen Toten stießen sie auf Pigmente, die sich als Reste von Make-Up entpuppten. Zunächst gingen die Forscher davon aus, dass diese Kosmetika den Toten gehörten und ihnen als Beigaben mit ins Grab gegebenen wurden. Dch chemische Analysen der Pigmentreste zeigten, dass diesen Farben organische Komponenten fehlten, die typischerweise bei Make-Up dafür sorgten, dass es gut an der Haut haftet.
„Wir schließen darauf, dass diese Pigmente von Kosmetika stammen, die im Rahmen von Totenritualen genutzt wurden“, sagt María Teresa Domenech-Carbo von der Polytechnischen Universität Valencia. Denn die Bewohner von Teotihuacan praktizierten – so viel weiß man bereits – bei hochrangigen Verstorbenen eine Art Gedächtniskult. Im Gegensatz zu den normalen Bewohnern der Stadt wurden die Toten der Elite nicht in Gräbern oder Nekropolen beigesetzt. Ihre Familien behielten sie stattdessen nahe bei sich – im Fußboden ihrer Häuser.
Totenkult und Götterbilder
Und in den Häusern fand auch das Totenritual statt: „Die Priester kamen und ehrten die Toten im Beisein der Familie“, erklärt Domenech-Carbo. Dabei bemalten sie deren Körper mit Make-Up und legten auch Kosmetika in die Urnen der Verstorbenen – quasi als Vorrat für das Leben nach dem Tod. Wie sich die Bewohner von Teotihuacan das Leben nach dem Tode vorstellten, ist bisher unklar. In Wandmalereien tauchen aber oft Motive auf, die auf Tod hindeuten.
Ähnlich wie andere präkolumbianische Hochkulturen glaubten die Bewohner von Teotihuacan an mehrere Götter, wie die Wandgemälde zeigen. Einige davon wurden später unter anderem Namen von den Azteken und anderen Nachfolgekulturen verehrt. Auch Quetzalcoatl, die „Gefiederte Schlange“ und der Regengott Tlaloc gehören dazu.
Ob die Bewohner der Stadt diesen Göttern auch Menschenopfer darbrachten, gehört zu den offenen Fragen dieser Kultur. Archäologen haben in der Nähe einiger Tempelpyramiden die Überreste von Toten mit Verletzungen entdeckt, die dafür sprechen könnten. Einige Funde deuten zudem darauf hin, dass auch Menschen lebendig begraben wurden – ein eindeutiger Beweis aber fehlt.
Nadja Podbregar
Stand: 13.06.2014