Das ständige Auf und Ab des subglazialen Ozeans bleibt jedoch nicht ohne Folgen für die starre Eiskruste Europas: An vielen Stellen kann sie der Bewegung nicht folgen und reißt. Diese Risse bilden das auffallende Muster aus langgezogenen Gräben und Furchen, die die Aufnahmen der Raumsonde Galileo zeigen. Die dunklere Farbe der Linien könnte darauf zurückgehen, dass an diesen Rissen immer wieder flüssiges Wasser aus dem Ozean an die Oberfläche quillt und dort erstarrt.
Unerklärliche Richtungsswechsel
Etwas an diesen Linien aber ist seltsam: „Eines der Rätsel ist, warum diese langen, geraden Brüche im Laufe der Zeit ihre Orientierung geändert haben“, erklärt Alyssa Rhoden vom Goddard Space Flight Center der NASA. Weil der Jupitermond seinem Planeten in einer gebundenen Rotation immer die gleiche Seite zuwendet, wirken die Gezeitenkräfte eigentlich immer in der gleichen Richtung. Warum also sind nicht auch die Risse immer wieder auf die gleiche Weise entstanden?
Theoretisch gibt es dafür drei Erklärungsmöglichkeiten: Zum einen könnte die gefrorene Kruste von Europa etwas schneller rotieren als der Rest des Mondes. Die Kruste würde damit seiner Bewegung immer leicht voraneilen und so im Laufe der Zeit ihre Ausrichtung gegenüber dem Jupiter und seinen Gezeitenkräften verändern. Eine zweite Möglichkeit wäre, dass die Rotationsachse des Mondes gegenüber seiner Bahnbewegung leicht gekippt ist – ähnlich wie auch die Drehachse der Erde. Europa würde damit im Laufe der Zeit etwas eiern und so ebenfalls mal den einen und mal den anderen Krustenbereich dem Jupiter annähern.
Nicht auszuschließen wäre aber auch eine dritte Möglichkeit: Dass die Risse ganz einfach völlig zufällig verteilt sind und auch ihre Ausrichtung nicht von mondumspannenden Prozessen abhängt, sondern beispielsweise von lokalen Schwachstellen im Eispanzer. Rhoden und ihre NASA-Kollegen entschlossen sich, diese drei Szenarien anhand von Galileo-Aufnahmen und Modellsimulationen genauer zu überprüfen. Im September 2013 veröffentlichten sie ihr Ergebnis.
Eiernde Achse
Klarer Verlierer war demnach die Theorie der voreiligen Kruste: Die Modelle, die auf diesem Szenario beruhten, schafften es nicht ein einziges Mal, das für Europa typische Muster der Risse zu replizieren. Anders dagegen das Szenario der taumelnden Rotationsachse: Legten die Forscher ihr Modell so an, dass Europas Achse im Laufe der Zeit um rund ein Grad hin und her schwankte, dann kam das Ergebnis dem in der Eiskruste beobachteten Rissmuster schon ziemlich nahe.
Noch besser wurde die Übereinstimmung, als Rhoden und ihre Kollegen dieses Modell noch um einige zufällige Risse ergänzten. „Es zeigt sich, dass schon eine kleine Achsneigung – oder Obliquität – viel von dem erklären kann, was wir heute sehen“, sagt Rhoden.
Schwappendes Wasser unterm Eis
Das leichte Taumeln des Jupitermonds könnte nicht nur für das typische Rissmuster der Eiskruste verantwortlich sein, auch zur Bildung des subglazialen Ozeans könnte es beigetragen haben. Denn selbst wenn die Ausrichtung des Mondes gegenüber dem Jupiter nur wenig schwankt, reicht diese Unregelmäßigkeit möglicherweise schon aus, um die Heizwirkung der Gezeitenkräfte zu verstärken.
Robert Tyler, Ozeanforscher am Laboratorium für Angewandte Physik der Washington University hat sogar noch eine gewagtere These: Seiner Ansicht nach sorgt das Eiern des Eismonds sogar dafür, dass der subglaziale Ozean ständig unter der starren Kruste hin und herschwappt. Das Wasser wäre von starken Strömungen geprägt, statt träge und weitgehend ruhig zu stehen. Und diese Wasserbewegung, so glaubt er, könnte sogar ausreichend Energie und damit Wärme freisetzen, um den Ozean flüssig zu halten. „Wenn meine Arbeit korrekt ist, dann ist der Ozean selbst die Wärmequelle für das flüssige Wasser auf Europa und nicht das, was sich darüber oder darunter befindet”, erklärt Tyler. Noch aber, so räumt er selbst ein, ist dies nicht mehr als eine Hypothese.
Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014