Juni 1796, im englischen Berkeley. Der Arzt Edward Jenner beginnt ein riskantes und fragwürdiges Experiment: Er infiziert einen gesunden achtjährigen Jungen absichtlich mit den tödlichen Pocken. Das allerdings geschieht nicht unvorbereitet, denn bereits sechs Wochen zuvor ist der Junge, James Phipps, schon einmal in der Praxis des Arztes gewesen. Damals hat ihm Jenner ein Serum gespritzt, das aus den Bläschen von Kuhpocken stammte.
Der erste echte Impfstoff
Denn Jenner hatte – wie schon einige vor ihm – beobachtet, dass Melkerinnen, die sich an pockenkranken Kühen ansteckten, zwar an den Kuhpocken erkrankten: Sie bekamen Fieber und typische Eiterbläschen. Die Krankheit verlief aber mild, die Bläschen bildeten sich nur an den Händen und hinterließen meist kaum bleibende Schäden. Und das Spannende: Wer einmal an den Kuhpocken erkrankt war, schien immun gegen die menschliche, weitaus gefährlichere Variante der Pocken zu sein. Könnte das eine Möglichkeit sein, um die riskante Pockenimpfung verträglicher und ungefährlicher zu machen?
Tatsächlich hat Jenners Experiment Erfolg: James Phipps erweist sich auch nach absichtlicher Ansteckung mit den Pocken als immun und erkrankt nicht. Der Arzt sieht daher in dieser „Vakzination“ endlich die Chance, die Ausbreitung der Pocken einzudämmen – und propagiert dies auch nachhaltig unter seinen Kollegen und in der britischen Royal Society. Ähnlich wie vor ihm Lady Montagu wird auch Jenner zunächst nicht ernstgenommen. Doch die Ergebnisse sprechen bald für sich. Immer mehr Ärzte beginnen, ihre Patienten mit dem Kuhpockenserum zu behandeln – und schützen diese damit wirksam.
Aktive Immunisierung: Durch Vorwarnung gewappnet
Bis heute gehört die von Jenner entwickelte Form der Schutzimpfung – die sogenannte aktive Immunisierung – zu den wichtigsten Waffen der Medizin gegen viele Infektionskrankheiten. Denn gegen die meisten Viren gibt es auch heute noch kein Heilmittel. Ob Pocken, Masern, Tollwut oder Kinderlähmung – behandelt und gelindert werden können nur die Symptome, für den Kampf gegen die Viren ist der Körper auf sich allein gestellt. Doch die aktive Immunisierung gibt ihm wirksame Waffen an die Hand, denn das Immunsystem kann sich durch die Impfung vorbereiten:
Der Kontakt mit abschwächten oder abgetöteten Erregern oder sogar nur durch bestimmte Oberflächenproteine der Erreger löst eine Reaktion des Immunsystems aus. Dabei prägen sich spezielle Abwehrzellen, die sogenannten Gedächtniszellen oder B-Lymphozyten, wichtige Erkennungsmerkmale des eingedrungenen Erregers ein. Kommt dann der Mensch ein zweites Mal mit diesem Virus oder Bakterium in Kontakt, wird es gleich erkannt und die Abwehr kann schneller und spezifischer reagieren. Sie produziert sofort passende Antikörper, die sich an die Oberflächenproteine des Erregers anlagern und ihn damit außer Gefecht setzen.
Als Folge verläuft eine Infektion dann in den meisten Fällen sehr leicht oder sogar symptomlos und der Erreger wird eliminiert, bevor er sich im Körper stark vermehren kann. Je nach Krankheit und Erregertyp hält die Schutzwirkung einer solchen aktiven Immunisierung lebenslang an, wie bei der Impfung gegen Kinderlähmung oder Hepatits B, oder aber sie muss regelmäßig aufgefrischt werden, wie beispielsweise bei Tetanus und Diphterie. In einigen Fällen, darunter auch Masern, sind zwei Impfungen in kurzem Abstand hintereinander nötig, bis der Impfschutz vollständig ist, dieser hält dann aber ebenfalls lebenslang.
Passive Immunisierung: Hilfe gegen den eingedrungenen Feind
Was aber, wenn es zu spät ist – weil beispielsweise ein Hund schon zugebissen hat und der Betroffene keinen aktiven Impfschutz gegen Tetanus und Tollwut besitzt? Dann gibt es in vielen Fällen die Möglichkeit der passiven Immunisierung. Dabei erhält die Immunabwehr genau das, was sie in diesem Moment am dringendsten braucht: maßgeschneiderte Antikörper gegen den Erreger. Denn bei einem Erstkontakt mit einem unbekannten Feind dauert es immer erst eine Weile, bis ausreichend Antikörper produziert werden können. Die von außen ergänzten Hilfstruppen schließen diese Lücke und helfen so, den Erreger effektiv zu bekämpfen.
Der Nachteil dabei: Weil das Immunsystem dabei nicht selbst die Hauptarbeit leistet, prägen sich die Gedächtniszellen die Merkmale der Erreger nicht oder kaum ein. Der Schutz durch diese Art der Immunisierung hält daher nur einige Wochen bis wenige Monate an. Diese Form der Impfung ist daher nur als Soforthilfe geeignet oder als kurzfristiger Schutz bei akuter Ansteckungsgefahr.
Nadja Podbregar
Stand: 19.07.2013