Wo Tiger und Mensch kollidieren, erinnert die Großkatze zuweilen daran, dass sie kein schmusiger Kuschelkater ist. In den Sundarban-Sümpfen im Gangesdelta, dem größten Mangrovenwald der Welt, kommen jedes Jahr in den Brackwasser-Sümpfen und Mangroven-Wäldern viele Dutzend Menschen durch Tiger zu Tode: Holzfäller, Fischer, Honigsammler. Zurück bleiben verarmte Tigerwitwen. Hat ein Tiger einmal einen Menschen getötet, gewöhnt er sich an die leichte Beute und schlägt wieder zu.
Man-Eater und dunkle Nächte
Meist sind diese „Man-Eater“ alte oder verletzte Einzeltiere. In den Sundarbans aber häufen sich die Menschenfresser. Erklärungen kursieren viele, etwa die, dass das Salzwasser schuld sei oder die Tiger wegen der Flussbestattungen an Menschenfleisch gewohnt seien.
Eines ist sicher: Die Bedrohung durch die etwa 300 dort lebenden Tiger verleiht den einzigartigen Mangrovenwäldern mehr Schutz gegen die Abholzung. Ohne die Man-Eater wären die Mangroven womöglich längst komplett zerstört. Doch auch in den Sundarbans schwindet der Lebensraum. Werden dem Tiger Land und Beute genommen, häufen sich Konflikte mit Viehzüchtern und Dörflern. Die Katzen reißen Vieh und stoßen immer öfter auf Menschen.
Drei Dinge helfen dann: die Umsiedlung von „Problem-Tigern“, ein besserer Schutz des Viehs und Kompensationszahlungen an die Tierhalter. Tiger sind aber anpassungsfähig. In den Randbezirken von Nepals Chitwan-Nationalpark, wo auch Menschen siedeln, fanden Forscher kürzlich mit Hilfe von Kamerafallen heraus, dass die dort lebenden 121 Tiger ihre Aktivität stärker auf die Nacht verlegen. Eigentlich sind Tiger auch tagaktiv. Sie nutzen die gleichen Straßen und Pfade wie Menschen. Die Aufnahmen zeigten aber, dass die Katzen tagsüber, wenn Menschen in den Wäldern waren, weniger als üblich unterwegs waren – ein Hoffnungszeichen für eine Koexistenz von Mensch und Tiger.
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Konsequenter Schutz bringt erste Ergebnisse
Es gibt noch mehr hoffnungsvolle Signale. Beispiel Nepal: Dort bemühten sich zuletzt die Naturschutzbehörden nach dem Ende des maoistischen Guerillakriegs, die Wildbestände besser zu schützen. Patrouillen wurden ausgedehnt, Beobachtungsposten neu geschaffen oder wiederbesetzt, ein Weidemanagement mit Rotation etabliert, in Korridoren mehr Wasserlöcher angelegt. Erste Erfolge traten rasch ein. Ein Tiger-Monitoring des WWF in Nepals Bardia Nationalpark und angrenzenden Schutzkorridoren zeigte eine Verdoppelung der Tigerbestände binnen drei Jahren. In den Pufferzonen des Parks gehen lokale Anti-Wilderer-Trupps auch gegen das Abschießen von Hirschen und Antilopen vor. Allein 2011 wurden in Nepal mehr als 300 Wilderer und illegale Händler dingfest gemacht.
Ein Hoffnungsschimmer aus Südostasien: In Thailands abgelegenem Wildschutzgebiet Huai Kha Khaeng hat sich dank scharfer Kontrollen der Tigerbestand in 20 Jahren verdreifacht. „Reproduktion findet – anders etwa als bei Elefant, Nashorn oder Walen – relativ schnell statt – wenn man die Tiger eben auch lässt und nicht wildert“, sagt Roland Gramling. „Wer die Tiger vor dem Aussterben bewahren will, muss also zunächst einmal die Wilderei zum Erliegen bringen.“
Nachzucht und Wiederansiedlung gegen den Tigerschwund?
Andere sind in Gedanken schon einen Tigersprung weiter. Pläne zur Wiederansiedlung machen die Runde. So entwarf die russische Regierung den Plan, Sibirische Tiger im Verbreitungsgebiet des ausgestorbenen Kaspischen Tigers auszuwildern. Im Visier hat sie das Ili-Delta in Kasachstan.
Zweites Beispiel: Auf einer Farm in Südafrika gewöhnt die Organisation Save Chinas Tiger aus Zoos übernommene Südchinesische Tiger an die Jagd und züchtet sie nach, um sie später in Chinas Wälder zu entlassen. Ergibt das Sinn? Der WWF hält es für dringlicher, die Bestände in den heutigen Lebensräumen zu stabilisieren, „bevor man konstenintensive und hinsichtlich des Erfolgs sehr unsichere Wiederansiedlungsprojekte startet“, so Gramling.
Kai Althoetmar
Stand: 17.05.2013