Später stellten andere Forschergruppen fest: Manche Vogelarten singen in der Stadt auch höher als auf dem Land, Kohlmeisen etwa. Oder Amseln, wie Brumm – mittlerweile längst am Max-
Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen – in einer Studie zeigte. „Wir haben uns gefragt, warum Vögel nicht nur lauter, sondern auch höher singen“, berichtet Brumm. Eine denkbare Erklärung ist, dass sich ein höherer Gesang besser vom tieffrequenten Straßenlärm abhebt. Ist er vielleicht über weitere Strecken zu hören? Und könnte das den Nachteil der Stadtvögel ausgleichen, dass sie lärmbedingt nur über halb so weite Distanzen kommunizieren können wie ihre Artgenossen auf dem Land?
Bloßer Nebeneffekt oder Absicht?
Die Forscher aus Brumms Team entwickelten ein mathematisches Modell, um diese möglichen Zusammenhänge zu überprüfen. Das Ergebnis war negativ: Zwar gelingt es durch höheren Gesang
tatsächlich, Straßenlärm etwas zu kompensieren, der Effekt ist allerdings gering. „Bei Amseln klappt das gar nicht, da sie viel tiefer singen als etwa Kohlmeisen“, so Brumm. Das höhere Trällern der Tiere könnte ein reiner Nebeneffekt der gesteigerten Lautstärke sein. Auch das kennt man vom Menschen: Wer schreit, hebt die Stimme in eine höhere Tonlage. Möglicherweise variieren Stadtamseln also ihren Gesang zugunsten der Lautstärke: mehr höhere Passagen, um lauter zu werden.
Diese Hypothese prüft Henrik Brumm in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Jesko Partecke, der am Standort Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie forscht. Die beiden Wissenschaftler setzen dazu Amseln in schalldichte Boxen, in denen sie nicht durch Umgebungsgeräusche beeinflusst werden, und studieren deren Gesang. Demnach scheinen die Vögel höhere Töne tatsächlich lauter zu produzieren. Anfang dieses Jahres dann bestätigten weitere Ergebnisse diese Theorie: „Indem die Stadtvögel aktiv hochfrequente Töne wählen, können sie ihre Fähigkeit steigern, laut zu singen und so die akustische Überlagerung des umgebenden Lärms abschwächen“, erklärt Brumm.
Kohlmeisen lernen im Labor zwitschern
Ein weiterer Nebeneffekt des Lärms könnte auch sein, dass Vögel aus der Stadt Schwierigkeiten haben, die Melodien ihrer Eltern korrekt zu lernen, weil sie diese aufgrund des Lärms schlechter hören. Brumm untersucht das mit seinem Team im Labor an Kohlmeisen, die im Institut per Hand aufgezogen wurden und dort unter verschiedenen akustischen Bedingungen das Zwitschern lernen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Vögel tiefe Gesangspassagen auch bei Lärm lernen. Lernschwierigkeiten der Jungtiere scheinen also nicht das Problem zu sein.
„Bisher können wir zwar solche Phänomene beobachten, aber wir wissen noch nicht, welche Auswirkung das auf die Tiere hat, auf ihre Lebenserwartung, ihr Brutverhalten oder ihren
Paarungserfolg“, sagt Brumm. Seine Mitarbeiterin Sue Anne Zollinger etwa hat jüngst untersucht, ob der lautere Gesang mehr Energie erfordert. Der Effekt war minimal. „Zwar brauchten die Vögel tatsächlich etwas mehr Energie, der Unterschied war jedoch kaum messbar, sodass er die Tiere sehr
wahrscheinlich nicht beeinträchtigt“, sagt Brumm.
Stefanie Reinberger / MaxPlanck Forschung
Stand: 05.04.2013