Verhaltensänderungen in unterschiedlichen Lebensräumen – in diesem Fall Stadt und Land – müssen aber auch nicht zwangsläufig negativ sein und den Tieren schaden. „Dieselbe Vogelart in der Stadt und auf dem Land zu beobachten bietet die spannende Gelegenheit, Evolution in Echtzeit zu verfolgen“, erklärt Jesko Partecke. Denn die notwendigen Voraussetzungen für erfolgreiches Stadtleben setzen sich in den Städten immer mehr durch.
Auf die Amsel gekommen durch Zufall
Partecke forscht an Amseln. Dabei waren sie für ihn als jungen Wissenschaftler geradezu banal, wie er lachend verrät. Er war schon auf dem Sprung nach Afrika, um dort für seine Doktorarbeit Schwarzkehlchen zu untersuchen. Doch dann kündigte sich Nachwuchs an, und Afrika schien nicht mehr der geeignete Aufenthaltsort für den werdenden Vater. „Mein Doktorvater bot mir ein Thema mit Amseln im Bereich Urban Ecology an“, erinnert sich der Ornithologe. Das hat sich als wahrer Glücksgriff erwiesen, denn das Themenfeld war damals noch neu und kaum erforscht.
„Amseln sind dafür die idealen Studienobjekte: Sie besiedeln schon seit langer Zeit Städte und kommen dort und auf dem Land gleichermaßen vor. Man kann also gut vergleichen.“ Es gibt eine Reihe von Verhaltensunterschieden zwischen Stadt- und Landamseln, der Gesang ist nur einer von vielen. So ziehen Stadtamseln im Winter seltener in den Süden als ihre auf dem Land lebenden Artgenossen. Sie brüten etwa drei Wochen früher und manchmal sogar häufiger im Jahr. Und sie leben enger mit Artgenossen zusammen, als es Amseln auf dem Land tun würden.
Stadtleben hat auch Vorteile
Manchmal scheint es sogar ein Vorteil für die Tiere zu sein, in der Stadt zu leben: So stellte Partecke im Jahr 2008 fest, dass Stadtamseln seltener unter Parasiten leiden. Zudem sind Stadtvögel stressresistenter. Sind die Tiere ungünstigen Situationen ausgesetzt, reagieren sie ähnlich wie Menschen mit einer akuten Stressantwort und schütten Stresshormone aus, sogenannte Glukokortikoide. Das dient dazu, auf eine gefährliche Situation schnell zu reagieren. Bleiben der Stresspegel und damit auch das Niveau der Stresshormone jedoch über einen längeren Zeitraum hoch – man spricht dann von chronischem Stress –, kann dies Fortpflanzung, Immunabwehr und Gehirnfunktion beeinflussen.
Jesko Partecke wollte nun wissen, ob Stadt- und Landamseln im Umgang mit Stresssituationen unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringen. Dazu sammelten er und seine Mitarbeiter in München und Umgebung Nestlinge und zogen sie von Hand gemeinsam auf. Alle jungen Vögel hatten also dieselben Startbedingungen – zumindest, was ihre Umgebung betrifft. Dann setzten sie die Tiere akutem Stress aus und nahmen Blutproben. Tatsächlich blieben die jungen Stadtamseln deutlich cooler als ihre Artgenossen vom Land und reagierten weniger auf Stresssituationen. In stressfreier Umgebung war der Hormonpegel dagegen in beiden Vogelgruppen ähnlich.
Stefanie Reinberger / MaxPlanck Forschung
Stand: 05.04.2013