Wer einmal eine Schleiereule beim Beuteschlagen beobachten konnte, muss ihre Präzision bewundern. Sie ist bei der Jagd so effektiv, dass sie in Brutzeiten alle zehn bis 15 Minuten mit einer Maus zum Nest kommt, die sie in einem etwa fünf Quadratkilometer großen Revier fängt. Diese Arbeit muss sie bis zu 25 Mal pro Nacht verrichten. Kein Mensch würde das schaffen – selbst wenn er sich nicht vor Mäusen fürchtet.
Ein Tier mit menschlichen Zügen
Mit den nach vorne gerichteten Augen und dem Schleier wirkt die Schleiereule auf uns, als hätte sie menschliche Züge, ja ein Gesicht. Das wirkt verbindend und deshalb verspüren viele Menschen eine Zuneigung zu diesem Tier. In der Tat kann man es durch Handaufzucht zähmen. Dadurch werden die Tiere sehr vertraut mit dem Menschen und man sieht, wie spielerisch sie veranlagt sind.
Wissenschaftlich gesehen erlauben die nach vorne stehenden Augen den Tieren, die Welt (ähnlich wie der Mensch) mit guter Tiefenschärfe zu sehen, was die überlappenden Gesichtsfelder beider Augen ermöglichen. Da der räumliche Tiefeneindruck aus der leicht unterschiedlichen Bildinformation entsteht, die die beiden Augen erreicht, spricht man von „Stereosehen“.
Phänomen „Stereosehen“
Die Stereoinformation kommt dadurch zustande, dass die Augen im Kopf seitlich gegeneinander versetzt sind. Deshalb wird die Umwelt auf der Netzhaut des linken Auges leicht anders abgebildet als auf der des rechten Auges. Diese räumlichen Verschiebungen der Abbildungen enthalten Informationen über die Entfernung relativ zum dem Punkt, der gerade fixiert wird.
Das kann erfahren, wer Bilder betrachtet, die nach dem Prinzip des magischen Auges konstruiert sind. In diesen Bildern sind solche Verschiebungen versteckt. Wenn es dem Gehirn gelingt, die Punkte richtig zuzuordnen, entsteht ein räumlicher Eindruck.
Mobile Agenten
Wir haben ähnliche Bilder für Experimente mit Schleiereulen konstruiert und konnten zeigen, dass die Tiere ein Tiefensehsystem besitzen, dass dem des Menschen ähnelt. Dabei haben wir ein neues Auswertungsprinzip entdeckt. Dieses lässt sich – dem Vorbild der Natur folgend – in sogenannte mobile Agenten umsetzen. Kollegen, die jetzt in Göttingen forschen, haben dieses Prinzip in einen Videobildanalyse-Algorithmus überführt.
Professor Hermann Wagner / Lehrstuhl für Zoologie/Tierphysiologie an der RWTH Aachen / Laura Hausmann / DFG forschung 4 /2011
Stand: 15.03.2012