Für die Jagd in der Dämmerung benutzt die Schleiereule hauptsächlich ihr hoch spezialisiertes Gehör. Der namensgebende Schleier sammelt Geräusche ähnlich einer Parabolschüssel und wirkt als Verstärker. So kann das Tier noch Geräusche hören, die zehnmal leiser sind als die leisesten vom Menschen wahrnehmbaren Geräusche. Maßgeblich trägt dazu der äußere Federkranz des Schleiers bei, der aus einem dichten Rand steifer, schallreflektierender Federn gebildet wird.
Aurikularfedern „transparent“ für Schall
Das Innere des Schleiers dagegen besteht aus fein verästelten Aurikularfedern (von lateinisch auris = Ohr), die durch ihre Struktur für Schall „transparent“ sind und ihn nahezu ohne Abschwächung an die Ohren weiterleiten. Deshalb wurde begonnen, den Schleier nachzubauen, um Anregungen zu gewinnen, die zum Beispiel dabei helfen können, die räumliche Auflösung von Richtmikrofonen zu verbessern.
Ähnlich wie die Augen sind auch die Ohren des Vogels seitlich gegeneinander am Kopf versetzt. Der Schall von einer Schallquelle gelangt später zum schallabgewandten als zum -zugewandten Ohr. Daraus resultieren, analog zu den räumlichen Verschiebungen beim Sehen, Laufzeitdifferenzen zwischen den Ohren. Es entstehen Lautstärkeunterschiede zwischen den Ohren, weil der Kopf die Lautstärke von Geräuschen an der schallabgewandten Seite verringert.
Auffällige Laufzeit- und Lautstärkedifferenzen
Die Laufzeit- und Lautstärkedifferenzen sind umso größer, je weiter die Schallquelle weg von der Blickrichtung des Kopfes ist. Wegen ihres kleineren Kopfes sollte die Schleiereule eigentlich Schallquellen weniger präzise lokalisieren können als der Mensch. Doch das ist ein Irrtum. In der horizontalen Ebene lokalisieren Menschen und Schleiereulen Schallquellen etwa gleich gut, wohingegen die Schleiereule in der vertikalen Ebene sogar eine höhere Präzision als der Mensch erreicht.
Dies geht auf eine weitere Besonderheit zurück: Die Ohrläppchen der Schleiereule sind nicht symmetrisch in einer horizontalen Ebene angeordnet, sondern das linke Ohrläppchen liegt höher als das rechte und ist nach unten hin gerichtet, während das rechte leicht nach oben zeigt.
Schleier und Ohrasymmetrie als „Team“
Der Schleier und die Ohrasymmetrie wirken zusammen, um Unterschiede in der Lautstärke nicht nur bei Änderungen der Position einer Schallquelle in der horizontalen, sondern auch in der vertikalen Ebene entstehen zu lassen. Während Menschen sowohl Laufzeit- als auch Lautstärkeunterschiede für die Bestimmung des horizontalen Winkels nutzen, bestimmt die Eule mittels Laufzeitunterschieden den horizontalen und mittels Lautstärkeunterschieden den vertikalen Winkel.
Professor Hermann Wagner / Lehrstuhl für Zoologie/Tierphysiologie an der RWTH Aachen / Laura Hausmann / DFG forschung 4 /2011
Stand: 15.03.2012