Wenn die Schleiereule mit einem so kleinen Kopf eine ebenso gute oder sogar bessere Lokalisationsgenauigkeit erzielt wie der Mensch, dann muss sie die im Schall enthaltene Richtungsinformation besser auswerten können. Das Gehirn der Schleiereule ist hoch spezialisiert auf die Verarbeitung akustischer Signale.
Schalllokalisierende „autonome Agenten“
Das Hörorgan ist im Vergleich zu anderen Vögeln stark verlängert. Im Hörorgan wird das zeitliche Eintreffen eines Signals gemessen. Allerdings besteht hier ein nicht unerhebliches Problem. Die winzigen Zeitunterschiede, die der Schall benötigt, um die Strecke zwischen beiden Ohren zurückzulegen, sind mit einigen hundert Millionstel Sekunden eigentlich viel zu klein, um von Nervenzellen erfassbar zu sein.
Wir vermuten, dass weitere Spezialisierungen im Bau der Moleküle, die die neuronalen Signale erzeugen, und das Zusammenspiel vieler Sinnes- und Nervenzellen eine solch präzise zeitliche Auflösung möglich machen. Gerade die Optimierung auf zellulärer Ebene möchte man tiefer verstehen, weil sie möglicherweise zur Verbesserung von Cochlea-Implantaten und Hörgeräten dienen könnte. Wir arbeiten beispielsweise an schalllokalisierenden „autonomen Agenten“, die auf Rechenoperationen basieren, wie sie auch im Gehirn der Eule stattfinden.
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Lautlos fliegen
Das empfindliche Hörsystem würde der Schleiereule nichts nützen, wenn sie während der Jagd die Geräusche einer potenziellen Beute durch eigene Fluggeräusche übertönen würde. In der Tat fliegt die Schleiereule fast lautlos. Doch wie verhindert die Eule Fluggeräusche? Um diese Frage zu beantworten, arbeiten Biologen und Aerodynamiker zusammen. Es ist das Ziel dieser Forschung, nicht nur den Mechanismus bei der Eule zu entschlüsseln, sondern langfristig vielleicht auch für die Konstruktion geräuschreduzierter Flugzeugtragflächen nutzbar zu machen.
Auch hier spielen spezifische Anpassungen im Federkleid und der Flügelform eine Rolle. Die vergleichsweise großen Flügel sind elliptisch geformt, und die einzelnen Federn bilden durch haarfeine abstehende Strukturen eine samtige Oberfläche. All dies gewährleistet auch bei langsamerer Fluggeschwindigkeit noch Tragfähigkeit und vermindert gleichzeitig Luftverwirbelungen, die Geräusche verursachen könnten.
Jetzt ist zu der langen Liste der Besonderheiten, die bei der Eule erforscht werden, eine weitere, etwas ungewöhnliche hinzugekommen: Wie die meisten Vogelarten haben Schleiereulen eine Bürzeldrüse, die auf der Oberseite der Schwanzwurzel, dem Bürzel, liegt. Die Drüse produziert ein öliges Sekret, das der Vogel normalerweise während der Gefiederpflege mit dem Schnabel auf den Federn verteilt, um sie vor Wasser zu schützen.
Fettsäuren als Schmierstoffe
Bei der hohen Körpertemperatur von fast 40 Grad Celsius – übrigens der Grund für die geringe Anfälligkeit der Vögel für die meisten bakteriellen Entzündungen – ist das überlebenswichtig; eindringende Nässe würde unweigerlich zu einem massiven Wärmeverlust führen. Da das von der Bürzeldrüse produzierte Sekret Fettsäuren besitzt, die sich als Schmierstoffe eignen, kam die Idee auf, die genetische Sequenz dieser Fettsäuren in Pflanzen zu exprimieren, diese auf einem Acker wachsen zu lassen und dann die Öle zu extrahieren. So könnte es sein, dass es in Zukunft einen Schmierstoff auf Eulenbasis zu kaufen gibt.
Alle Beispiele zeigen, warum wir die Eule nicht nur als anmutiges Tier schön und anziehend finden, sondern der Vogel der Grundlagenforschung als äußert faszinierendes Tiermodell dienen kann. Nach inzwischen gut 50 Jahren Forschung an und mit der Schleiereule wurden manche Geheimnisse gelüftet, während andere noch auf eine Lösung und Antwort warten. Das spornt uns in unserer Forschung an.
Professor Hermann Wagner / Lehrstuhl für Zoologie/Tierphysiologie an der RWTH Aachen / Laura Hausmann / DFG forschung 4 /2011
Stand: 15.03.2012