Es ist der Nachmittag des 16. Februar 1962. Über der Nordsee tobt seit Stunden ein heftiger Sturm mit Orkanböen, in immer mehr Orten entlang der schleswig-holsteinischen Küste wird Katastrophenalarm ausgelöst.
Doch Hamburg, die Metropole an der Elbe, wähnt sich zunächst noch in Sicherheit – liegt die Stadt doch immerhin 80 Kilometer von der Elbmündung entfernt landeinwärts. Warum sollte hier Gefahr herrschen? Die letzte große Sturmflut liegt schließlich mehr als 130 Jahre zurück und damals war auch nur ein Außenbezirk der Stadt betroffen. Wasserstände von mehr als fünf Metern über Normalnull hat es seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr gegeben.
Das Wasser steigt
Doch der Sturm nimmt darauf keine Rücksicht: Unerbittlich drückt der Wind die Wassermassen der Nordsee die Elbe hinauf. Mit anschwellender Flut verschärft sich die Lage dramatisch. In Cuxhaven, an der Elbemündung fällt der Pegel aus, der Wasserstand kann nur noch geschätzt werden. Auch Hamburg ist jetzt nicht mehr sicher. Das Wasser steigt mit rasender Geschwindigkeit: Um 22.30 Uhr erreicht der Pegel der Elbe 2,60 über Normalnull, nur 15 Minuten später zeigen die Messungen schon 2,85.
Um 23.00 Uhr wird der Ausnahmezustand verhängt, verzweifelt versuchen Hilfskräfte, sich mit Sandsäcken gegen die Fluten zu stemmen. Durch Fehlinformationen oder mangelnde Anweisungen allerdings leider oft an genau den falschen Stellen. Doch alle Bemühungen nutzen ohnehin nichts mehr: Jahrelange Vernachlässigung des Hochwasserschutzes und die trügerische Sicherheit rächen sich jetzt: Die Deiche geben nach. Um 00.40 Uhr bricht der Deich an der alten Süderelbe bei Neuenfelde, das Wasser strömt in die ersten Vororte. Im Katastrophenstab jagt jetzt eine Deichbruch-Meldung die nächste – Moorfleet, Stillhorn, Wilhelmsburg – für das Wasser gibt es kein Halten mehr.
Hamburger werden im Schlaf überrascht
Die meisten Hamburger werden im Schlaf von der Flut überrascht. Viele haben die Sturmflutwarnungen zwar registriert, ignorieren sie aber zunächst. Schließlich ist in ihnen ja immer von der Nordseeküste die Rede ist, nicht aber explizit von Hamburg. Doch das Wasser steigt dort immer höher.
Um 02.00 Uhr bricht der nördliche Deich des Stadtteils Wilhelmsburg – in rasender Geschwindigkeit überfluten die Wassermassen die Elbinsel. Die Bewohner haben kaum eine Chance zu entkommen – innerhalb kürzester Zeit sterben allein hier 200 Menschen. Auch andere Stadtteile, darunter Georgswerder, Stillhorn, Waltershof und die Marschlande melden Land unter. Weite Teile der Stadt sind von der Außenwelt abgeschnitten, Straßen, Bahnstrecken sind überspült, Strom- und Telefonleitungen tot.
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Höhepunkt der Flut um 03.30 Uhr
Um 03.30 Uhr ist der Höhepunkt der Flut erreicht. Danach beginnt das Wasser langsam wieder zu fallen – doch zu spät für Hamburg und seine Bewohner: 60 Deiche sind von den Fluten weggerissen oder überströmt worden. Ein Sechstel des Stadtgebiets steht unter Wasser. Mehr als 30.000 Hamburger haben ihre Wohnung verloren und müssen in Schulturnhallen und anderen Notunterkünften Unterschlupf suchen. 100.000 sind vom Wasser eingeschlossen und harren auf Hausdächern, Anhöhen oder den oberen Stockwerken ihrer Häuser aus – ohne Trinkwasser, Nahrung oder wärmende Decken, mit durchnässten Kleidern bei eisiger Kälte. Für 317 Menschen kommt jede Hilfe zu spät – sie überleben die Sturmflut nicht.
Nadja Podbregar, Jens Oppermann, Dieter Lohmann
Stand: 16.02.2006