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Über die letzten hundert Jahre betrachtet dürften sich ganz generell die mikrobiellen Biofilme im Darm etwa durch veränderte Ernährungsgewohnheiten und Hygienemaßnahmen in ihrer Struktur gewandelt haben – was mit dem Aufkommen der chronischen Darmentzündungen durchaus zu tun haben könnte.
Doch wie unterscheidet sich die Flora von Erkrankten und Gesunden im Detail? Welchen Einfluss besitzt dabei die genetische Ausstattung des Wirtsorganismus? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die chronischen Entzündungsprozesse an den Körperbarrieren?
Moderne Sequenziergeräte im Einsatz
In verschiedenen Projekten versuchen wir derzeit diesen Fragen auf den Grund zu gehen, etwa durch Analysen der Darmflora beim Menschen, aber auch bei wissenschaftlichen Tiermodellen sowie Wildtierpopulationen, die noch unter einem natürlichen Selektionsdruck stehen. Dabei machen wir uns moderne Sequenziergeräte zunutze, mit denen sich das kollektive Genom einer ganzen Mikrobenpopulation auf einmal untersuchen lässt.
Einige Erkenntnisse fließen bereits in die Patientenbehandlung ein. Gemäß dem Konzept, dass es sich bei chronischen Entzündungen um ein eigenständiges Krankheitsphänomen handelt – unabhängig davon, wo im Körper sie auftreten –, werden in einer speziellen Entzündungsklinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Patienten mit entzündlichen Leiden von Darm, Haut, Lunge oder Gelenken durch ein interdisziplinäres Expertenteam betreut. Dabei geht es etwa darum, Kennzeichen im Blut oder Genom der Betroffenen zu finden, die auf einen besonders schweren Krankheitsverlauf hinweisen. Zudem werden neuartige Wirkstoffe aus der Forschung im Rahmen von klinischen Studien getestet.
Substanz unterbindet Entzündungen in Darm oder Gelenken frühzeitig
Ein konkreter Fortschritt lässt sich schon verzeichnen. So wurde am Biochemischen Institut der Universität Kiel eine Substanz hergestellt, die Tierversuchen zufolge spezifische Effekte des Botenstoffs Interleukin-6 blockiert und Entzündungen in Darm oder Gelenken früh unterbindet – ohne dabei wie herkömmliche Medikamente das Immunsystem insgesamt zu schwächen. Die Substanz mit dem Kürzel „sgp130Fc“ befindet sich nun in der klinischen Erprobung.
Das Ziel der weiteren Forschung ist, chronische Entzündungen nicht wie bisher bloß zu unterdrücken oder zu verzögern – sondern durch eine „molekulare Prävention“ von vornherein zu verhindern. Dies setzt einen interdisziplinären Ansatz voraus, bei dem etwa die modernen Ernährungswissenschaften ebenso wichtig sein werden wie die Modellierung genetischer Risiken und individueller Präventionsstrategien.
Stefan Schreiber, Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel / DFG Forschung
Stand: 13.01.2012