Jahrzehntelang herrschte auch im Weltraum kalter Krieg: Die USA und die Sowjetunion lieferten sich einen erbitterten Wettlauf erst ins All, dann zum Mond. Misstrauisch wurden Errungenschaften des jeweils anderen begutachtet und – nach Möglichkeit – öffentlich schlecht gemacht. Doch am 17. Juni 1992 beendeten US-Präsident George Bush und sein russischer Gegenpart Boris Jelzin diese Ära im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Federstrich: Sie unterzeichneten das „Abkommen zur Kooperation in der Erkundung und Nutzung des Weltraums zu friedlichen Zwecken“.
Konkreter als sonst oft üblich, einigten sich die beiden Präsidenten auf ein Rendezvous von Space Shuttle und russischer Raumstation Mir sowie auf einen Astronautentausch: Ein russischer Kosmonaut sollte an Bord der Raumfähre mitfliegen, im Gegenzug ein US-Astronaut 90 Tage auf der Mir verbringen.
Ein Russe an Bord des Shuttle
Am 3. Februar 1994 war es dann soweit: Ingenieur und Kosmonaut Sergei Krikalov bestieg als erster Russe ein Weltraumfahrzeug der NASA und flog damit in die Umlaufbahn. Zuvor hatte er monatelang gemeinsam mit den US-Astronauten trainiert und vor allem: englisch gelernt. „Sergej erzählte mir einmal: ‚Wenn ich mit all dem Lernen für meine Klassen durch bin, bleibt mir normalerweise nur noch die Zeit von ein bis zwei Uhr morgens, um mein englisches Sprachtraining zu absolvieren“, beschreibt Travis Brice vom Johnson Space Center der NASA den ungeheuren Erfolgs- und Arbeitsdruck bei der Vorbereitung der Mission.
Das erste Rendezvous
Höhepunkt der Shuttle-Mir-Ära jedoch war Mission STS-71: Am 29. Juni 1995 verband sich zum ersten Mal ein amerikanisches Raumfahrzeug mit der Raumstation des ehemaligen Erzfeinds Russland. 400 Kilometer über dem Baikalsee schob sich das Shuttle Atlantis langsam an die Mir heran. In Vorbereitung auf dieses erste Rendezvous hatten Kosmonauten das Mirmodul „Kristall“ versetzt, um Raum für das anlegende Shuttle zu schaffen. Die amerikanische Raumfähre trug einen eigens konstruierten Andockadapter, das am Labormodul im Laderaum angebracht war. Dennoch erforderte das Andocken ein echtes „Weltraumballett“, wie es der damalige Shuttle-Kommandant Hoot Gibson nannte.
Da die Raumfähre nur mit weit geöffneten Ladeluken und quasi rückwärts anlegen konnte, positionierte Gibson die Atlantis direkt unter der Raumstation, um bei der Annäherung die Bremswirkung der Erdschwerkraft ausnutzen zu können. Auf den letzten Metern kroch das Schiff mit nur noch zweieinhalb Zentimetern pro Minute vorwärts. Das Manöver gelang: Weniger als einen halben Grad wich es von der Ideallinie ab. Gemeinsam bildeten Mir und Atlantis nun die größte im Orbit fliegende menschliche Konstruktion ihrer Zeit. Insgesamt flogen die amerikanischen Raumfähren elf Mal zur russischen Raumstation, sieben Mal verbrachten amerikanische Astronauten längere Zeit auf der Mir.
Vorübung für die Internationale Raumstation
„Der größte Gewinn des Shuttle-Mir-Programms lag darin, dass es die Weltraumexperten Russlands und der USA zusammenbrachte, so dass sie einander kennen- und verstehen lernten“, sagt NASA-Astronaut Michael Foale. „Wir haben sicher auch ein paar technische Dinge gelernt, beispielsweise wie man die Lage einer Raumstation bei einem Stromausfall kontrolliert und was man tun kann, wenn es zu viel Kondenswasser gibt. Aber all das ist Kleinkram verglichen mit dem Hauptnutzen: Wir verstanden und vertrauten einander dadurch genügend, um uns zuzutrauen, gemeinsam die Internationale Raumstation zu bauen.“
Nadja Podbregar
Stand: 07.07.2011