Wie sagt man seinem kleinen Sohn, dass er nicht Fußball spielen kann wie die anderen Kinder, weil er an Muskelschwäche leidet? Wie fühlt es sich an, immer ein Einzelfall zu sein? „Das ist eine wirklich schlimme und beängstigende Sache.“ Bernd Dückmann (Name von der Redaktion geändert) spricht mittlerweile ganz nüchtern über die Erkrankung seines ältesten Sohns. Der Zehnjährige leidet an „Duchenne Muskeldystrophie“. Der Muskelschwund bedeutet für die betroffenen Kinder und deren Familien immer noch eine unheilbare, tödlich endende Krankheit.
Mit Zwölf in den Rollstuhl
Verursacht wird Duchenne durch ein geschädigtes Dystrophin-Gen auf seinem X-Chromosom. In Deutschland gibt es etwa 2.500 betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die ersten Krankheitszeichen treten auf, wenn ein Kind etwa vier Jahre alt ist auf. Dann fällt das Gehen schwer, die Muskeln werden immer schwächer. Mit zwölf Jahren sind die Kinder meist an den Rollstuhl gebunden. Durch die immer schwächer werdenden Muskeln wächst der Bedarf an Hilfe und Pflege. Die meisten Duchenne-Patienten sterben im jungen Erwachsenenalter, denn auch Atem- und Herzfunktionen sind von der Muskelschwäche betroffen.
Dückmann hat, auch dank des großen Rückhalts seiner Familie, das Leben seines Sohns hervorragend organisiert. Der Junge ist durch intensive Pflege, wöchentliche Arzt- und Krankengymnastik-Besuche optimal versorgt und wirkt im Vergleich zu anderen Betroffenen sehr gesund. Er hat drei gesunde Geschwister und viele Freunde. „Wir sind direkt offen mit der Krankheit umgegangen. Das fällt manchmal dennoch schwer. Man will ja nicht jedem seine Leidensgeschichte erzählen“, sagt der Vater. Sein Sohn wird bald auf das Gymnasium wechseln. Das erfordert Organisation.
Zukunftsplanungen machen keinen Sinn
Aber wie sagt man seinem Kind, dass es bald im Rollstuhl sitzen wird und wahrscheinlich nicht besonders alt werden wird? „Wir konzentrieren uns stets auf die aktuell anstehenden Problembereiche, auf das gegenwärtige Leben“, beschreibt Dückmann, anders gehe das nicht. Er vermeidet ausgreifender Zukunftsplanungen, die zusätzlich bedrücken und keinen Sinn machen würden. „Wir gehen eben einfach eher den nächsten als den übernächsten Schritt – und glauben, dass man damit Panik vermeidet und Kraft optimal einsetzt, ohne von Lähmung befallen zu werden.“ Außerdem werde die Familie von der Hoffnung getragen, dass sich die Forschungslage in Zukunft entscheidend verbessern wird.
Leidet ein Familienmitglied an einer seltenen Erkrankung, stellt das alle vor besondere Probleme. Die „Seltenen“ sind oft genetisch bedingt, es handelt sich um sehr schwere Krankheiten. Eine aufwändige Behandlung und Betreuung ist zumeist erforderlich. Das macht es für die Patienten und ihre Familien sehr schwer, den Alltag zu bewältigen.
„Ein totaler Schock“
Zum Beispiel wenn es um die körperliche Belastung geht, wie Marion Grosskopf (Name von der Redaktion geändert) erzählt. Ihr elfjähriger Sohn ist an Duchenne erkrankt, sie muss ihn oft die Treppen rauf und runtertragen. Badezimmer und Kinderzimmer befinden sich im oberen Stockwerk des Hauses. Weil sich der Gesundheitszustand ihres Sohnes zunehmend verschlechtert, muss die Wohnung behinderten gerecht umgebaut werden. Das Geld dafür hat die Familie nicht. Das Schicksal ihres Kindes macht Marion Grosskopf immer noch sehr traurig.
„Als er drei Jahre alt war, bekamen wir die Diagnose“, sagt sie, „das war ein totaler Schock.“ Es hat lang gedauert, nicht jedes Mal in Tränen auszubrechen, wenn sie anderen von der Erkrankung berichtete. Überhaupt hat die Familie sich sehr schwer damit getan, sich mit der Situation zurecht zu finden. „Ich weiß manchmal nicht, woher ich die Kraft nehme“, sagt Grosskopf. Traurig macht sie auch, dass der große Bruder immer Rücksicht nehmen muss, weil der Kleine eben einfach mehr Aufmerksamkeit benötigt. Ändern kann sie es aber nicht.
Die Familien Dückmann und Grosskopf hoffen, dass im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung weitere Fortschritte erzielt werden, die ihren Kindern das Leben leichter machen.
Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011