Am meisten ärgert sich Fee, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit in den Blickpunkt gerät. Die Zehnjährige misst 1,17 Meter und wiegt 17 Kilogramm. „Wenn meine Tochter dann aber redet wie andere Kinder in ihrem Alter, kommen die erstaunten Bemerkungen“, erzählt Mutter Trix Buchholz. Noch vor ein paar Jahren war es noch schlimmer, erinnert sich die gelernte Krankenschwester, „da wurde sie immer gefragt, ob sie und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Zwillinge seien. Denn die war sogar größer und kräftiger als ihre Schwester.“
Zu selten um für die Pharmaindustrie von Interesse zu sein?
Mittlerweile hat Fee eine gute Portion Selbstbewusstsein entwickelt, etwas anderes bleibt ihr auch kaum übrig. Ihre kleine Körpergröße ist einer Seltenen Erkrankung geschuldet, die sich Hypophosphatasie (HPP) nennt. Außer ihr leben rund 200 Menschen in Deutschland, die von dieser nicht heilbaren Störung im Knochenstoffwechsel betroffen sind. Gleich mehrere genetische Fehler sorgen dafür, dass ein für die Knochenbildung wichtiges Enzym nicht richtig gebildet wird. Schon mit drei Jahren verlor Fee viele ihrer Milchzähne und konnte nur dank einer Prothese normal essen und sprechen lernen. Mit dreieinhalb Jahren musste sich Fee zudem einer schwere Schädeloperation unterziehen.
Die Familie erlebte schwere Zeiten, musste für Unterstützung kämpfen. „Heute geht es Fee gut, sie geht ganz normal zur Schule. Ältere HPP-Patienten berichten, dass sie als Jugendliche und auch später noch einmal eine Verschlimmerung mit unzähligen Knochenbrüchen erlebten“, sagt Trix Buchholz. Sie will sich trotzdem nicht entmutigen lassen und hofft, dass eine Enzym-Ersatztherapie, schon lang im Gespräch, bald zugelassen und eingesetzt wird. „Die Erkrankung ist leider so selten, dass sie für Pharmakonzerne uninteressant war und nur wenig in die Erforschung investiert wurde.“ Das käme jetzt so langsam. Aber ob ihre Tochter die erste Patientin sein soll? Trix Buchholz ist nicht sicher.
36 Millionen Menschen allein in der EU betroffen
Nicht nur im einzelnen Fall, auch für die Gesellschaft stellen die seltenen Krankheiten ein Problem dar. Allein in Deutschland sind rund vier Millionen Menschen betroffen, in der gesamten EU wird die Zahl auf 36 Millionen geschätzt. Und alle diese Menschen verdienen es natürlich, genauso behandelt zu werden, wie die, die von bekannten Leiden wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen betroffen sind. „Obwohl die seltenen Erkrankungen während der vergangenen zehn oder 20 Jahre stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit fanden, gibt es immer noch große Lücken in unserem Wissen über die Entstehung und Behandlung seltener Erkrankungen“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem jüngsten Gesundheitsbericht.
Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kommt 2009 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es Defizite in der Versorgung gibt. Diese seien mit einer besseren Koordination, Kooperation und Vernetzung von Forschung, medizinischer Versorgung, Patienten und Angehörigen zu verbessern. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert seit 2003 die Etablierung von krankheitsspezifischen Netzwerken, um die Kapazitäten in Forschung und Versorgung zusammenzuführen, bisher werden immerhin 16 Nationale Netzwerke für Seltene Erkrankungen mit rund acht Millionen Euro pro Jahr unterstützt.
Netzwerke sollen Diagnose und Behandlung verbessern
Wie wichtig Netzwerke sind, zeigt sich derzeit beispielweise bei der Muskeldystrophie Duchenne (DMD), einer schweren Muskelschwäche, die nur Jungen betrifft. „Das Transnationale hat die Sache deutlich vorangebracht“, sagt Janbernd Kirschner, Kinderneurologe und Oberarzt am Universitätsklinikum Freiburg. Diese Erkrankung ist eine an Jungen vererbte, nicht heilbare Muskelkrankheit, bei der vor allem die rumpfnahe Muskulatur immer schwächer wird. Meist sterben die Betroffenen im frühen Erwachsenenalter an einer zunehmenden Schwäche der Atem- und Herzmuskulatur.
Durch Initiative der Wissenschaftler Volker Straub und Hans Lochmüller entstand 2003 zunächst das MD-NET (Muskeldystrophie-Netzwerk), das seither Ärzte und Wissenschaftler aus ganz Deutschland zusammenbringt, deren Interesse der Erforschung der Erkrankung gilt. Ziel ist es, die Diagnose der Krankheit zu optimieren und Therapien zu deren effektiven Behandlung zu entwickeln. Längst ist man mit dem europäischen Netzwerk TREAT-NMD verbunden, so dass erstmals Register angelegt werden konnten, die weltweit mittlerweile über 10.000 betroffene Patienten erfassen.
Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011