Insekten gehören heute zu den gewandtesten und vielseitigsten Fliegern im Tierreich, doch wie hat alles angefangen? Wie begannen die Insekten zu fliegen? Ähnlich wie bei den Vögeln tappen die Wissenschaftler in dieser Frage auch bei den Insekten noch immer weitgehend im Dunkeln. Auch wenn heute einigermaßen geklärt scheint, dass sich die Flügel der ersten Fluginsekten aus Beinanhängen entwickelt haben, ist damit noch lange nicht klar, warum dies geschah und wie die ersten Flugversuche ausgesehen haben.
Während sich die Evolution von anatomischen Merkmalen wenigstens teilweise noch anhand von Fossilien nachvollziehen lässt, sind die Wissenschaftler bei der Entwicklung von Verhaltensweisen gänzlich auf Indizien und die Abwägung von Wahrscheinlicheiten angewiesen. Haben sich die noch stummelflügeligen Urinsekten von Ästen fallenlassen um Fressfeinden zu entgehen? Dann hätten sie ihre Anhänge dabei zum Bremsen des Falls einsetzen können. Ausgeschlossen ist dies nicht. Denn die Form fallender Gegenstände spielt eine entscheidende Rolle für die Stabilität des Falls. Schon kleine Gleitanhänge könnten ein größeres Insekt soweit stabilisieren, dass es zumindest nicht mehr unkontrolliert auf die „Nase“ fällt, sondern seinen Fall mit den Beinen auffangen kann.
Der Haken an diesem Szenario ist allerdings, dass es ursprünglich von den starren Gleitanhängen der Seitenlappen-Theorie ausging. Könnte es auch mit den beweglichen „Kiemenflügeln“ funktioniert haben? Um dies herausfinden, bauten Forscher ein Insektenmodell mit drehbaren Flügelstummeln und testeten sein Verhalten im Windkanal. Die Stummelflügel bestanden den Test: Auch sie wären bereits in der Lage gewesen, den Fall eines Urinsekts zu stabilisieren.
Damit könnte alles zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt sein, gäbe es da nicht noch ein ebenso wahrscheinliches Alternativ-Szenario: Angenommen, die ersten Fluginsekten lebten nicht auf Bäumen, sondern am Boden. Wie hätten ihnen dann flügelähnliche Anhänge einen evolutiven Vorteil verschaffen können? Eine Möglichkeit ist auch hier die Hilfe bei der Flucht: Durch Schlagen mit den kleinen Stummelflügeln könnten die Tiere ihre Laufgeschwindigkeit oder die Länge ihrer Sprünge so erhöht haben, dass sie Fressfeinden besser entkamen.
Ob dieses Szenario möglich gewesen wäre, sollten Versuche mit einem der unbeliebtesten Insekten überhaupt klären – Periplaneta amerikana, der amerikanischen Küchenschabe oder Kakerlake. In verschiedenen Experimenten lösten die Forscher bei den Kakerlaken Fluchtverhalten aus und testeten, wie es gesteuert wurde. Es stellte sich heraus, dass sowohl das Weglaufen als auch das Fliegen durch die gleichen Nervenknoten kontrolliert werden. Immerhin hatte man damit ein Indiz dafür, dass Laufen und Fliegen eng verbunden waren und dass das Fluchtverhalten bei der Entwicklung des Fliegens eine wichtige Rolle gespielt haben musste.
Doch leider gab es das noch das Problem der Aerodynamik: Ein Insekt könnte niemals so schnell laufen, dass es – nur mit Flügelstummeln bewehrt – genügend Auftrieb bekäme, um richtig aufwärts zu fliegen. Eine verlängerte Flugphase im Sprung ist dagegen schon eher denkbar.
Die Insektenforscher stehen damit vor einem Dilemma: Keines der beiden Szenarien kann für sich genommen die Entwicklung des Fliegens erklären. Bei beiden gibt sowohl Hinweise, die es wahrscheinlich machen als auch „Haken“. Offenbar ist auch hier eine endgültige Lösung noch nicht gefunden, die Suche geht weiter….
Stand: 12.06.2001