Bei einigen Tierarten übernehmen die „lieben Kleinen“ diese Beseitigung von Konkurrenten in der eigenen Familie gleich selbst. Bekannt für ein solches Verhalten sind unter anderem manche Greifvogelarten. Dort kennt das zuerst geschlüpfte und damit meist stärkere Junge keine Gnade mit dem nachfolgende Küken. Beim Schreiadler zum Beispiel reagiert das Senior-Kind im Nest sofort darauf, wenn das Geschwisterchen aus der Schale schlüpft. Bevor das neue Jungtier weiß wie ihm geschieht, hockt das Ältere bereits auf seinem Rücken. Dort bleibt es dann solange, bis der jüngere „Miniadler“ verhungert oder erdrückt ist.
Das zweite Jungtier kommt bei solchen Tierarten oft nur dann zum Zuge, wenn das Erstgeborene nicht gesund ist oder – seltener – wenn das Nahrungsangebot für die betreffende Art in dem Jahr so gut ist, dass beide Tiere erfolgreich aufgezogen werden können. Das Zweitgeborene ist quasi eine biologische Sicherheitsreserve für die Eltern, damit die Brutsaison in jedem Fall erfolgreich abgeschlossen werden kann.
Früh übt sich wer ein guter Jäger wird
Einen ähnlichen Fall von Geschwistermord haben Wissenschaftler immer wieder auch bei Haien beobachtet. Kaum ein Lebewesen auf dieser Welt ist so gefürchtet und mit Mythen versehen wie diese Knorpelfische. Überall wo die berüchtigte Dreiecksflosse oder auch nur etwas halbwegs Ähnliches in Strandnähe aus dem Wasser ragt, entsteht eine Panik, wie sie sonst nur die mutierte Riesenechse Godzilla in den Straßen von Tokio auslösen kann. Haie gelten pauschal als Sinnbild für kaltblütige Monster und Menschenfresser. Dabei gibt es unter ihnen auch zahlreiche völlig harmlose Arten wie den bis zu 18 Meter langen, gigantischen Walhai, der sich fast ausschließlich von Plankton ernährt.
Weniger bekannt ist dagegen, dass bei einigen Haiarten, wie beispielsweise dem Sandtigerhai, auch der Kannibalismus zum täglichen Leben (und Sterben) gehört. Schon vor der Geburt frönen die Jungtiere dieser Haie dem „Hobby“ im Mutterleib. Der am besten entwickelte Embryo begibt sich dabei auf die Jagd nach Eiern oder bereits geschlüpften Geschwistern und tötet und verspeist sie.
Dieses als vorgeburtlicher oder „Intrauterin-Kannibalismus“ bezeichnete Phänomen führt dazu, dass meist nur wenige Jungtiere eines Elternpaares in jedem Fortpflanzungsyklus lebend geboren werden. Der verbliebene Nachwuchs aber kommt bereits als perfekter Jäger auf die Welt und hat sich schon eine ganze Menge unliebsamer Rivalen und Nahrungskonkurrenten in der eigenen Familie vom Hals geschafft.
Stand: 14.04.2001