Das Innere der Erde birgt auch im 21. Jahrhundert noch viele Geheimnisse. Mit Bohrungen und anderen Versuchen, in die Tiefe vorzudringen, kratzen Forscher gerade mal an der Oberfläche. Das Innere des Planeten entzieht sich der unmittelbaren Beobachtung. Ähnlich wie bei der Untersuchung des Körperinneren greifen Forscher deshalb zu indirekten Methoden, um die Strukturen und Prozesse, die sich unter der Kruste verbergen, zu messen. Schockwellen, wie sie durch kleine Explosionen oder auch Erdbeben erzeugt werden, durchdringen die Kruste und werden von den Strukturen des Erdinneren unterschiedlich schnell und in verschiedene Richtungen reflektiert.
Wie eine Art „Tomogramm“ kann eine solche „seismische Reflexion“ dann ausgewertet werden – wenn sie optimal visualisiert wird. Adam Dziewonski, Geologe an der amerikanischen Harvard Universität, sucht seit den 70er Jahren nach einer Möglichkeit, die Zahlenkolonnen und Seismogramme der seismischen Reflexionen in ein dreidimensionales Abbild der Erdkruste zu integrieren. „Alle Versuche, die beobachteten Seismogramme mithilfe der gängigen Modelle der Erdstruktur und der seismischen Quelle abzubilden, überzeugten mich davon, dass wir bei der Modellierung der Erde von einer zu drei Dimensionen voranschreiten müssen“, erklärt Dziewonski.
Für die oberen Bereiche des Erdmantels und der Erdkruste gelang es sehr schnell, die Ergebnisse in einer Art Computertomogramm zu visualisieren. Je nachdem welche Daten den Modellen zugrunde gelegt wurden, zeigten sie sehr deutlich die jeweiligen physikalischen Eigenschaften und die Strukturen des Gesteins. Die Modelle waren so genau, dass mit ihrer Hilfe beispielsweise der genaue Weg des Grundwassers in einem Gebiet prognostiziert werden konnte und damit auch die möglichen Ausbreitungswege einer Kontamination. Auch für die gezielte Ausbeutung von Bodenschätzen lieferten Dziewonskis Modelle wertvolle Hinweise, da sie die genaue Form und Lage von Öl, Gas, Kohle oder anderen Bodenschätzen zeigten.
Dziewonski und sein Team wollten sich damit jedoch nicht zufrieden geben, denn der untere Erdmantel entzog sich noch immer allen Versuchen, ihn zu modellieren. Sie wühlten sich durch zehntausende von seismischen Beobachtungsdaten, zapften das zentrale Erdbebenarchiv des Internationalen Seismologischen Zentrums an und rechneten, analysierten und werteten aus. Im Zentrum ihrer Bemühungen stand dabei die Grenzschicht zwischen dem Erdmantel und dem äußeren Kern, die sogenannte core-mantle boundary (CMB).
Als sie aus den gefundenen seismischen Daten ein erstes Modell dieser Region konstruierten, entdeckten sie Erstaunliches: Die Oberfläche der Kern-Mantel-Grenzschicht zeigte seltsame, bislang unbekannte Schwingungen von mehreren Kilometern Durchmesser. Obwohl dieses Ergebnis den bereits bekannten geophysikalischen Daten dieser Region nicht widersprach, stießen Dziewonski und seine Mitarbeiter in der internationalen Seismologen-Gemeinde auf erheblich Skepsis. Doch die Forscher „auf den Spuren von Jules Verne“ lassen sich nicht beirren. Inzwischen arbeiten sie daran, die Auflösung ihrer Modelle soweit zu verbessern, dass auch die letzten Zweifler überzeugt werden können.
Stand: 27.01.2001