Wasser – Fluch oder Segen? Lebensspender oder Attentäter? Gerade in Bangladesch fällt die Entscheidung für eine dieser Alternativen schwer. Kaum ein Land der Erde wird so häufig von Überschwemmungskatastrophen heimgesucht wie dieser kleine Flecken der Erde südlich des Himalayas. In den letzten 40 Jahren haben die Behörden und internationale Hilfsorganisationen mindestens 30 Hochwasserereignisse in der ohnehin krisengeschüttelten Region registriert.
Bangladesch ist aber auf der anderen Seite auch auf die reichhaltige Versorgung mit Süßwasser, das in großem Mengen über die Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna aus dem Himalaya in das Delta strömt, dringend angewiesen. Nur so bleibt die Bodenfruchtbarkeit durch die mitgeführten Sedimente hoch, nur so kann die Landwirtschaft ansatzweise genug Lebensmittel produzieren um die explosionsartig wachsende Bevölkerung zu ernähren. Auch die künstliche Bewässerung, die in vielen Teilen des Landes für zusätzliche Ernten sorgt, ist von den Wassermassen der Ströme abhängig.
1,2 Billionen Kubikmeter Wasser gelangen jährlich über den gesamten Deltabereich von Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen. Mehr als fünf Prozent des Landes sind von den verschiedenen Binnengewässern bedeckt. Doch trotz des enormen Wasserangebots wird bisher lediglich zwei Prozent des landesweiten Energiebedarfs mithilfe der Wasserkraft erzeugt, der Rest stammt aus fossilen Brennstoffen.
Nur wenige Gebiete liegen mehr als 50 Meter über dem Meeresspiegel. Der Keokradong ist mit einem Spitzenwert von 1.230 Meter Höhe die höchste Erhebung des Landes. Deshalb sind die Folgen von Überschwemmungen gewaltig. Nach inoffiziellen Angaben sollen allein während der Katastrophe von 1991 mehr als 300.000 Menschen in den Fluten umgekommen sein, mindestens sieben Millionen Menschen mussten ihre Häuser und ihre Heimat zumindest zeitweilig verlassen.
Hauptgrund für diese gewaltigen Menschenopfer während der Hochwasserserien ist die extrem hohe Bevölkerungsdichte in Bangladesch. 112 Millionen Einwohner lebten 1994 dort, im Juli 2000 waren es schon fast 130 Millionen. Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von fast 1.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Bangladesch zählt damit zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Rechnet man noch die unbewohnbaren Sumpfwälder und die landwirtschaftlich genutzte Fläche ab, „hocken“ in den bewohnbaren Gebieten sogar 4.000 Einwohnern auf einem Quadratkilometer.
Ein Drittel der Bevölkerung – fast 40 Millionen Menschen – leben unter der Armutsgrenze. Und dies, obwohl die Landwirtschaft mittlerweile jedes brauchbare Stückchen Land in Bangladesch nutzt. Subsistenzwirtschaft, Selbstversorgung, heisst das Schlagwort für die zahllosen Kleinbauern, die jedes Jahr neu um ihr Leben und ihr Auskommen kämpfen müssen. Reis ist das Hauptnahrungsmittel für die Massen, angebaut werden aber auch Mais, Weizen, Obst und Jute.
Aber Not macht erfinderisch: Zahllose Kleinbauern besiedeln die Chars, die superflachen mehr oder minder großen Flussinseln, die sich aus den fruchtbaren Sedimenten der Ströme jedes Jahr neu bilden, die das Wasser aus dem Himalaya und dem Oberlauf der Flüsse mit sich bringt. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, denn diese Chars gehören bei Hochwasser natürlich zu den am meisten gefährdetsten Gebieten, die unter Umständen in Blitzgeschwindigkeit verlassen werden müssen…
Stand: 20.11.2000