Auf den ersten Blick ist unser Gehirn relativ symmetrisch: Beide Hälften sind gleich groß, ähneln sich in ihren Lappen, Furchen und Vorwölbungen und sehen auch im Schnittbild täuschend ähnlich aus. Aber der äußerliche Eindruck täuscht.
Das Sprachzentrum liegt links – meistens
Das musste schon der Arzt Paul Broca in den 1860er Jahren feststellen, als er Patienten mit Hirnverletzungen behandelte und dabei auf ein seltsames Phänomen stieß: War das Gewebe in einem bestimmten Bereich der linken Gehirnhälfte zerstört, verstanden die Patienten zwar noch, was er ihnen erklärte, konnten aber selbst kaum oder gar nicht mehr sprechen. Die gleichen Zerstörungen rechts schienen dagegen keinerlei sprachliche Einbußen nach sich zu ziehen.
Heute weiß man, dass der von Broca entdeckte Hirnbereich nicht nur eines der beiden Haupt-Sprachzentren des Gehirns ist, sondern auch, dass er nur eines von vielen Beispielen für eine funktionelle Asymmetrie des menschlichen Gehirns ist. Denn auch wenn viele Grundfunktionen wie die Sinneswahrnehmungen oder die Bewegungssteuerung prinzipiell in beiden Gehirnhälften lokalisiert sind, dominiert bei den meisten komplexeren Aufgaben eine der beiden Hemisphären. So findet die Formenerkennung, räumliche Orientierung, aber auch die Verarbeitung von Emotionen und Musik vorwiegend rechts statt, das logische und mathematische Denken dagegen links.
Alles andersrum?
Was aber hat das alles mit der Händigkeit zu tun? Genau diese Frage beschäftigt auch die Wissenschaftler – und gibt ihnen bis heute Rätsel auf. Denn auch in ihrer neuronalen Symmetrie tanzen die Linkshänder „aus der Reihe“. Schon kurz nach Brocas Entdeckung des Sprachzentrums stellten Neurologen fest, dass dieses zwar bei 95 Prozent aller Rechtshänder in der linken Gehirnhälfte liegt, bei immerhin 30 Prozent der Linkshänder die Sprachverarbeitung jedoch primär auf der anderen Seite stattfindet.
Bis in die 1960er Jahre hinein nutzen deshalb Hirnchirurgen die Händigkeit sogar als Indiz dafür, ob bei einem Patienten eine Anomalie in der Hirnsymmetrie zu erwarten war oder nicht. Ihrer Ansicht nach musste das Linkshändergehirn komplett spiegelverkehrt aufgebaut sein – ein Mythos, der sich bis heute bei vielen hält. Zu Unrecht: „Die naive Vorstellung ist, dass das Gehirn der Linkshänder gespiegelt ist zu dem der Rechtshänder. Das ist schlicht falsch“, erklärt Onur Güntürkün, Biopsychologe der Ruhr-Universität Bochum. „Bei den Linkshändern zeigen sich die gleichen Asymmetrien wie bei den Rechtshändern, sie sind ein wenig abgeschwächter, das ist eigentlich alles.“
Sprachentwicklung als Anstoß für Rechtshändigkeit?
Aber genau dieses „alles“ bildet für Hirnforscher fast den einzigen Anhaltspunkt auf ihrer Suche nach den Ursachen der Händigkeit. Denn irgendetwas muss im Laufe der Evolution, aber auch der jeweils individuellen Entwicklung jedes Menschen eine Weiche dafür gestellt haben, ob wir uns mit rechts oder links die Zähne putzen. Und hier kommt die Sprache ins Spiel.
{3l}
Denn nach Ansicht einiger Forscher könnte die Evolution der Sprachzentren in der linken Gehirnhälfte gleichzeitig auch die motorischen Areale dieser Hemisphäre gestärkt haben und so das bei den nicht-sprechenden Affen noch relativ ausgeglichene Gleichgewicht zugunsten einer Rechtshändigkeit bei sprechenden Frühmenschen verschoben haben – möglicherweise auch, weil Gesten als Vorstufe zum Sprechen dies förderten.
„Die Idee zumindest von einigen Autoren ist, dass dort die Assoziation zu unserer Feinmotorik liegt, die ja auch eine Abfolge von schnellen, präzisen, mit hoher Koordination durchzuführenden Bewegungsabläufen ist“, erklärt Güntürkün, „und dass es daher kein Zufall ist, dass beide sich zumindest bei der Mehrheit der Menschen in der gleichen Gehirnhälfte niedergelassen haben.“
Nadja Podbregar
Stand: 08.08.2014